Verfassungsschutz : Fehler im System
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Thomas Sippel: Der „Auswerter“ hat die Informationen schlicht nicht ausgewertet Bild: dapd
Nach zwei Rücktritten in den Reihen des Verfassungsschutzes, wird eins deutlich: Der Verfassungsschutz ist notwendig, aber er braucht dringend ein neues Selbstverständnis.
Erst der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, jetzt sein Thüringer Kollege. Beide Präsidenten müssen gehen, weil sie an der Spitze von Behörden gestanden haben, die - zumindest in der Abwehr rechtsterroristischer Gewalt - nicht nur versagt, sondern Vertrauen verspielt haben. Wenn denn der Verfassungsschutz dieses Vertrauen jemals genossen haben sollte. Nicht wenige Deutsche begegnen dem Dienst mit Misstrauen. Im Westen, wo die Bedrohung über lange Zeit eher von der extremen Linken ausging, werden die Verfassungsschützer auch in bürgerlichen Kreisen mitunter als Gesinnungsschnüffler diffamiert. Im Osten, wo es früher einen Geheimdienst gab, der Schild und Schwert der Partei war, ruft der Vergleich des demokratisch kontrollierten Verfassungsschutzes mit dem Staatssicherheitsdienst nicht bei jedermann Empörung hervor.
Indes hat der Verfassungsschutz wenig unternommen, das trübe Licht aufzuhellen, in dem er dämmert. Im Gegenteil, das Versagen der Behörde im Fall des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ offenbart den Blick in einen finsteren Abgrund. Die Antworten auf die Frage, warum zwei junge Männer und eine junge Frau, die schon als Jugendliche straffällig wurden und im Kern der rechtsextremen Szene standen, die vor allem in der versunkenen DDR ihren Zulauf fand, über Jahre unerkannt raubend und mordend durch Deutschland ziehen konnten, sind beschämend einfach.
Jeder kämpft für sich
Der „Auswerter“ im Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz hat die Informationen, die ihm vorlagen und die ein schneidend scharfes Lagebild ergaben, schlicht nicht ausgewertet. Aber Zusammenhänge, die nicht erkannt werden, können nicht weitergeleitet werden. Schonungslos beschreibt die Schäfer-Kommission die Konkurrenz zwischen den Behörden, der Polizei und dem Verfassungsschutz. Jeder kämpft für sich, will dem anderen den Erfolg nicht gönnen. Die Polizei legte falsche Fährten zum Verfassungsschutz, und der Verfassungsschutz warnte rechtsextremistische Quellen vor Zugriffen der Polizei. In der Binnenfixierung auf die eigene Behörde oder gar Abteilung geht der Blick für das Ganze und die eigentliche Aufgabe der Institutionen verloren. Auch eine Staatsanwaltschaft wurde ihrer Aufgabe nicht gerecht.
Das Versagen mag den Umständen der Aufbaujahre geschuldet sein, in denen sich Thüringen Ende der Neunziger befand. Es wirft damit auch die Frage auf, ob es nicht naiv war zu glauben, dass kleine Bundesländer, die nach den Verheerungen des Sozialismus im Osten wiederentstanden, wirklich binnen weniger Jahre ihre Dinge wieder selbst regeln sollten, nur weil sie stolz den eigenen Weg gehen wollten.
So schlecht kann der Föderalismus nicht sein
Doch westlicher Hochmut geht fehl. Denn das Versagen des Verfassungsschutzes und der Polizei sowohl in der eigenen Sphäre als auch im Zusammenwirken beider war kein spezifisch mitteldeutsches Phänomen, sondern ein gesamtdeutsches. Die Thüringer gaben die Informationen, die sie nicht ausgewertet hatten, nicht nach Sachsen, und die Brandenburger gaben wichtige Informationen nicht nach Thüringen, um eine ihrer Quellen zu schützen. In Kassel wurde ein Verfassungsschützer zum Verdächtigen, weil er sich vermutlich zum Zeitpunkt, als der Inhaber eines Internetcafés erschossen wurde, dort ebenfalls aufhielt. Auskünfte über einen V-Mann wurden der Polizei verwehrt oder nur zögernd gegeben. Das Versagen war ubiquitär. In allen Ländern, wo das Trio zwischen der Ostsee und den Alpen mordete und raubte, blieb es bis zum November 2011 unerkannt.
Eine Ursache mag im Trennungsgebot zwischen Polizei und Verfassungsschutz liegen, das als Lehre aus dem Nationalsozialismus gezogen wurde. Es mutet zynisch an, dass es nun auch dazu führte, dass rechtsextremistisch motivierte Täter hierzulande ihren Hass ausleben konnten. Eine weitere Ursache mag im Föderalismus liegen. Aber so schlecht kann dieser nicht sein, wie die Entwicklung der Bundesrepublik belegt. Er nimmt Rücksicht auf die Historie und setzt Anreize zum Wettbewerb, in dem die Länder um Lösungen ringen können, von denen dann alle profitieren.
Vor allem braucht der Verfassungsschutz ein anderes Selbstverständnis. Die Präsidenten Fromm und Sippel kamen letztlich zu Fall, weil Verfassungsschützer selbst gegenüber den Parlamentariern aller Parteien den Eindruck erweckten, sie wollten mit Sperrvermerken und Schwärzungen immerfort vertuschen und verschweigen, als wollten sie lieber sich und ihre V-Leute schützen, als dem freiheitlichen Staat zu dienen. Unter eingeschränkter öffentlicher Kontrolle offenbarte sich ein System mit einem Eigenleben, das sein Personal in einem ewigen Kreislauf aus sich heraus generiert und sozialisiert.
Es wäre aber grotesk, wenn ausgerechnet der Fall des NSU dazu führte, den Verfassungsschutz abschaffen zu wollen. Denn dieser Fall zeigt exemplarisch, dass wir sehr wohl Behörden benötigen, die trotz föderaler Strukturen auch im nationalen und internationalen Maßstab funktionieren, statt zu versagen. Blauäugig wäre es schließlich zu glauben, dass diese Behörden ohne V-Leute werden auskommen können. Wer Bedrohungen abwehren will, muss wissen, was die Übeltäter im Schilde führen.