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Jahrestagung des BKA : Verfassungsschutz-Chef sieht Erstarken der Rechtsextremisten

  • -Aktualisiert am

Verfassungsschutz-Chef Thomas Haldenwang warnte in Wiesbaden von einer rechtsextremen Szene, die „unterschiedliche Adressaten passgenau adressiert“. (Archivbild) Bild: dpa

Der rechtsextremen Szene in Deutschland gelinge immer öfter der Brückenschlag in andere Milieus, warnt Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang. Potentielle Gewalttäter würden derzeit noch einmal „intensiv betrachtet“.

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          Der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz Thomas Haldenwang hat vor einem Wandel und einem Erstarken der rechtsextremen Szene in Deutschland gewarnt. Diese verändere sich derzeit „dynamisch und nachhaltig“, sagte Haldenwang am Donnerstag auf der Herbsttagung des Bundeskriminalamts in Wiesbaden. Länder- und Milieugrenzen der Szene verschwänden, dafür entstünde eine „Mosaik-Szene“, die „unterschiedliche Adressaten passgenau adressiert“, so Haldenwang. Immer öfter gelinge der Szene dabei der „Brückenschlag“ in andere Milieus – wie etwa bei Demonstrationen 2018 in Chemnitz.

          Julian Staib
          Politischer Korrespondent für Norddeutschland und Skandinavien mit Sitz in Hamburg.

          Die rechtsextreme Szene finde „zunehmend Anknüpfungspunkte in gesellschaftliche Milieus“, in denen sie bisher nicht präsent gewesen sei, sagte der Präsident des Bundeskriminalamts (BKA) Holger Münch in Wiesbaden. Erleichtert und beschleunigt durch soziale Medien etabliere sich ein „gesellschaftliches Klima, in dem radikale Einstellungen, Hetze bis hin zur Gleichgültigkeit oder gar Befürwortung von Gewalt als zunehmend mehrheitsfähig“ wahrgenommen würden. Öffentlich scheine sagbarer geworden zu sein, was vor wenigen Jahren nur Vertreter der extremen Rechten „in die Welt hinaus gebrüllt“ hätten, so Münch. Die wachsende Bedrohung durch den Rechtsextremismus sei durch die gesellschaftliche Akzeptanz „noch virulenter“ geworden. Er warnte vor einem Klima, in dem rechtsextreme Gewalttäter sich „legitimiert oder sogar ermutigt“ fühlten.

          Die BKA-Jahrestagung stand in diesem Jahr unter dem Motto: „Innere Sicherheit weiterdenken: Ausgrenzung, Hass und Gewalt – Herausforderungen für den Rechtsstaat und die Sicherheitsbehörden“. Sie war damit gesellschaftspolitischer ausgerichtet als in den Jahren zuvor. Im Fokus stand dabei der Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke sowie das Attentat von Halle.

          Münch: „Beispiellose Welle“ an Hasskommentaren gegen Politiker

          Laut Bundesamt für Verfassungsschutz gibt es in der Bundesrepublik ein Rechtsextremismuspotential von 24.000 Personen, 12.700 davon wurden 2018 als gewaltorientiert eingestuft, das sind rund 17 Prozent mehr als 2014. Auch die Anzahl derjenigen, die als Gefährder eingestuft werden – bei denen also angenommen wird, sie könnten politisch motivierte Gewalttaten von erheblicher Bedeutung begehen – stieg von vier Personen 2012 auf heute 46 Gefährder und 126 sogenannte relevante Personen. Münch bezweifelte, ob angesichts der Zahl der als gewaltbereit eingeschätzten Personen die Zahl der Gefährder „ein realistisches Bild der Lage zeichnet“. Gemeinsam mit den Ländern sei daher damit begonnen worden, potentielle Gewalttäter noch einmal „intensiv zu betrachten“.

          Dies geschieht auch vor dem Hintergrund des Mordes an Walter Lübcke. Dringend Tatverdächtig ist in dem Fall Stephan E., ein einst als gewaltbereit bekannter Rechtsextremist aus Kassel, über den das Hessische Landesamt für Verfassungsschutz eine Akte führte. Nachdem E. jedoch ab 2009 scheinbar „abgekühlt“ war, sperrte der Verfassungsschutz die Akte. Tatsächlich aber radikalisierte sich E. offenbar weiter, im Juni dieses Jahres soll er den Kasseler Regierungspräsidenten aus nächster Nähe erschossen haben. 

          Münch warnte, in dem derzeitigen gesellschaftlichen Klima sinke die Bereitschaft, öffentliche Ämter anzunehmen. Der BKA-Präsident sprach von einer „beispiellosen Welle“ von Hasskommentaren gegen Politiker und Personen des öffentlichen Lebens, diese hätte ein „demokratiegefährdendes Ausmaß“ erreicht. Maßnahmen gegen Rechtsextreme zeigten nur dann Wirkung, wenn es gelinge, den rechten Hetzern und Straftätern ihren „digitalen Resonanzraum“ zu entziehen, so Münch. Er kündigte an, seine Behörde wolle mit der konsequenten strafrechtlichen Verfolgung von Hasskommentaren im Internet den Kampf gegen Rechtsextremismus verstärken. Dafür werde das BKA das Personal in diesen Bereichen verstärken.

          Verwiesen wurde in Wiesbaden an unterschiedlicher Stelle darauf, dass die Sicherheitsbehörden in den vergangenen Jahren personell deutlich besser ausgestattet worden sind. Laut Verfassungsschutzpräsident Haldenwang gab es allein innerhalb eines Jahres in seiner Behörde zuletzt einen Personalaufwuchs von 50 Prozent im Bereich Rechtsextremismus. Den Behörden seien zuletzt in „erheblicher Weise“ weitere Ressourcen zur Verfügung gestellt worden, weitere Zuwächse seien geplant, sagte etwa Hans-Georg Engelke, Staatssekretär im Bundesinnenministerium. So sei das Bundeskriminalamt etwa in den vergangenen fünf Jahren um 40 Prozent von 5000 auf über 7000 Mitarbeiter angewachsen. Auch der am Mittwoch im Bundestag beratenen Haushalt sehe weitere Zuwächse vor, insgesamt 3150 zusätzliche Stellen für die Sicherheitsbehörden, darunter rund 800 beim BKA und 2100 bei der Bundespolizei. Diese Ausstattung, warnte Engelke, sei „kein Selbstzweck“. Es gelte nun den „Kernauftrag“ zu erfüllen: Die Freiheit des Landes zu sichern.

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