Umstrittener Paragraf 217 : Verfassungsgericht kippt Verbot geschäftsmäßiger Sterbehilfe
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Der Zweite Senats des Bundesverfassungsgerichts Bild: dpa
Das Bundesverfassungsgericht erklärt die entsprechende Norm des Strafgesetzbuchs für nichtig – und entscheidet erstmals, dass das Allgemeine Persönlichkeitsrecht ein „Recht auf selbstbestimmtes Sterben“ enthält.
Das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe ist verfassungswidrig. Das Bundesverfassungsgericht erklärte die entsprechende Norm des Strafgesetzbuchs am Mittwoch für nichtig und entschied erstmals, dass das Allgemeine Persönlichkeitsrecht ein „Recht auf selbstbestimmtes Sterben“ enthalte. Dieses Recht schließe die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und diese, soweit sie angeboten werde, in Anspruch zu nehmen, sagte der Präsident des Verfassungsgerichts und Vorsitzende des Zweiten Senats, Andreas Voßkuhle, bei der Verkündung des Urteils.
Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben bestehe in jeder Phase menschlicher Existenz. Eine Einengung liefe auf eine Bewertung der Beweggründe und auf eine inhaltliche Vorbestimmung hinaus, die dem Freiheitsgedanken des Grundgesetzes fremd sei, so Voßkuhle.
Das bisherige Verbot greife in das Recht auf selbstbestimmtes Sterben unverhältnismäßig ein, weil es die Möglichkeiten einer assistierten Selbsttötung weitgehend entleere. Aus dem Urteil folge nicht, dass es dem Gesetzgeber untersagt sei, die Suizidhilfe zu regulieren. Er müsse aber sicherstellen, dass dem Recht des Einzelnen, sein Leben selbstbestimmt zu beenden, hinreichend Raum zur Entfaltung und Umsetzung verbleibe.
Der Zweite Senat hatte über sechs Verfassungsbeschwerden zu entscheiden, die sich gegen das Ende 2015 in Kraft getretene Verbot geschäftsmäßiger Sterbehilfe richteten. Als Reaktion auf zunehmende Aktivitäten von Sterbehilfevereinen hatte der Bundestag die Regelung unter Aufhebung des Fraktionszwangs beschlossen. Seitdem war die eigentlich straflose Beihilfe zum Suizid verboten, wenn sie „geschäftsmäßig“ erfolgte, also auf Wiederholung angelegt war. Auf ein Profitinteresse kam es nicht an. Erfasst waren Fälle, in denen jemand einer anderen Person die Gelegenheit zum Suizid bot, ihr etwa ein Medikament zur Verfügung stellte, das unmittelbar zum Tod führte.
Geklagt hatten in Karlsruhe schwerkranke Patienten, die Sterbehilfe in Anspruch nehmen möchten. Sie argumentierten, das Verbot greife unverhältnismäßig in den Kernbereich personaler Selbstbestimmung ein; aus dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht leiteten sie ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben ab. Daneben waren Sterbehilfevereine wie der von Roger Kusch nach Karlsruhe gezogen; dem ehemaligen Hamburger Justizsenator zufolge ermöglichte der Verein bis zu dem Verbot mehr als 250 Menschen einen Suizid.
Auch Ärzte hatten in Karlsruhe geklagt, sie beriefen sich auf eine Verletzung ihrer Gewissens- und Berufsfreiheit. Der unbestimmte Begriff der „Geschäftsmäßigkeit“ stelle zudem nicht sicher, dass bisher straffreie Formen der Sterbehilfe erlaubt blieben, argumentierten sie; auch die Grenzen erlaubter Palliativmedizin seien unklar geworden. Das Gericht gab nun allen Verfassungsbeschwerden der betroffenen Patienten und Ärzte statt, auch der von Kuschs Sterbehilfeverein. Einzig die Beschwerde des Schweizer Vereins Dignitas wurde verworfen.
Die Entscheidung sei dem Senat nicht leicht gefallen, sagte Voßkuhle. Suizidhilfe sei ein hoch emotionales und seit der Antike kontrovers behandeltes Thema, das mit im „wahrsten Sinne existentiellen Grundfragen des menschlichen Daseins“ verknüpft sei. Es rühre an die Grundfesten der ethischen, moralischen und religiösen Überzeugungen – über die hier indes nicht zu befinden gewesen sei. Voßkuhle stellte klar, dass es in Karlsruhe ausschließlich um die Verfassungsmäßigkeit einer Strafrechtsnorm gegangen sei.
Das höchste deutsche Gericht hat sich zum ersten Mal in seiner Geschichte eingehend mit Fragen der Sterbehilfe befasst; frühere Verfahren waren stets an formalen Kriterien gescheitert.