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Verfassungsgericht : Karlsruhe billigt militärischen Einsatz im Inland

  • Aktualisiert am
5. Januar 2003: Ein gekapertes Kleinflugzeug kreist über Frankfurt

5. Januar 2003: Ein gekapertes Kleinflugzeug kreist über Frankfurt Bild: AP

Zur Abwehr von Terrorangriffen „katastrophischen Ausmaßes“ darf die Bundeswehr künftig im Inland eingesetzt werden. Dem Einsatz militärischer Mittel setzt das Plenum des Bundesverfassungsgerichts dabei enge Grenzen.

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          Die Bundeswehr darf zur Abwehr von Terrorangriffen im Inland unter strengen Auflagen und in Ausnahmefällen „militärische Kampfmittel“ einsetzen. Das hat das gemeinsame Plenum aller 16 Richter des Bundesverfassungsgerichts entschieden. Der Beschluss wurde an diesem Freitag veröffentlicht. Ein Richter gab ein Sondervotum ab.

          Ein solcher Einsatz zur Gefahrenabwehr sei nur zulässig bei „Ausnahmesituationen katastrophischen Ausmaßes“, heißt es in dem Beschluss. Von Terroristen gekaperte Flugzeuge mit Zivilisten an Bord dürfen aber weiterhin nicht abgeschossen, sondern allenfalls von Kampfflugzeugen mit Warnschüssen zur Landung gezwungen oder abgedrängt werden. Insbesondere sei ein Einsatz nicht wegen Gefahren erlaubt, „die aus oder von einer demonstrierenden Menschenmenge drohen“.  Der Einsatz der Streitkräfte wie auch der Einsatz spezifisch militärischer Abwehrmittel sei stets nur als letztes Mittel zulässig. Zudem sei auch in Eilfällen immer ein Beschluss der gesamten Bundesregierung erforderlich.

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          Die Richter des Bundesverfassungsgerichts haben entschieden :

          Über den Bundeswehreinsatz bei einem überregionalen Katastrophenzustand muss zudem auch in Eilfällen die Bundesregierung insgesamt entscheiden. Sie darf diese Aufgabe nicht an den Verteidigungsminister delegieren.

          Das Gericht wich damit von einem Urteil des Ersten Senats im Ferbuar 2006 zum Luftsicherheitsgesetz ab. Damals hatte der Erste Senat einen Einsatz der Streitkräfte im Inland „mit spezifisch militärischen Waffen“ generell ausgeschlossen und das Gesetz für verfassungswidrig erklärt.

          Die gemeinsame Entscheidung aller Richter war nötig geworden, weil der Zweite Senat auf die Klagen von Bayern und Hessen den Einsatz der Bundeswehr mit Kampfmitteln zur Unterstützung der Länder bei Katastrophen erlauben wollte. Es ist erst die fünfte Plenarentscheidung des Verfassungsgerichts seit seiner Gründung.

          Bundesverfassungsrichter Reinhard Gaier gab ein Sondervotum gegen den neuen Beschluss ab. Gaier ist der einzige Richter des Ersten Senats, der 2006 an dem früheren Urteil zum Luftsicherheitsgesetz mitgewirkt hatte. Alle anderen Richter des Ersten Senats sind inzwischen nach dem Ende ihrer zwölfjährigen Amtszeit ausgeschieden. Das Luftsicherheitsgesetz hatte der frühere Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) auf den Weg gebracht.

          CDU/CSU, SPD und Grüne begrüßten das Urteil prinzipiell, vermissten aber in Teilen Konkretisierungen. Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion Hans-Peter Uhl betonte, die die Polizei könne bei der Abwehr terroristischer Anschläge überfordert sein. Daher sei es unverantwortlich in solchen Fällen nicht auf die Bundeswehr zurückzugreifen. Der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Michael Hartmann beklagte, das Gericht habe nicht geklärt, was unter einer katastrophalen Ausnahmesituation zu verstehen sei. Für die Bundestags-Grünen forderte deren Innenpolitiker Omid Nouripour die Union dazu auf, keine Vorstöße mehr zu Änderung des Grundgesetzes zu unternehmen, um den Weg für einen Bundeswehreinsatz im Inneren frei zu machen.

          Entschiedene Ablehnung kam von der Linkspartei. Deren Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke sprach von einer Verfassungsänderung durch die Hintertür. Die Voraussetzungen für einen Bundeswehreinsatz seien zu vage formuliert. Dies sei ein Türöffner für die Militarisierung der Innenpolitik und damit der Aushebelung demokratischer Kräfte.

          Die Gewerkschaft der Polizei sah dagegen die „bewährte Aufgabentrennung“ zwischen dem Schutz der inneren Sicherheit durch die Polizei und der äußeren Sicherheit durch die Bundeswehr gestärkt. Der Remilitarisierung der Polizei sei ein Riegel vorgeschoben worden, teilte der Verband mit Blick auf die deutsche Geschichte zwischen den Weltkriegen mit.
           


           

          Wann darf die Bundeswehr im Inland eingesetzt werden?

          Die Bedingungen für den Einsatz der Bundeswehr im Inneren sind in den Grundgesetzartikeln 35 und 87 definiert. Unumstritten war bereits bisher, dass Soldaten zur Bekämpfung von Naturkatastrophen wie der Sturmflut in Hamburg 1962 oder beim Oder-Hochwasser 1997 helfen dürfen.

          Das Bundesverfassungsgericht hat jetzt klargestellt, dass auch ein Einsatz militärischer Mittel in „äußersten Ausnahmefällen“ von „katastrophischen Dimensionen“ erlaubt ist. Das zielt vor allem auf die Abwehr terroristischer Anschläge aus der Luft oder von See, weil der Polizei dafür die Mittel fehlen - etwa Kampfjets oder Kriegsschiffe.

          Nicht gemeint sind aber ausdrücklich Gefahren, die von einer demonstrierenden Menschenmenge ausgehen. Verboten bleibt auch der Abschuss von Passagiermaschinen, die wie am 11. September 2001 in den USA von Terroristen gesteuert werden.
          Worum geht es aber dann? Konkrete Szenarien sind in dem Beschluss nicht genannt: „Besonders schwere Unglücksfälle sind ... ungewöhnliche Ausnahmesituationen“, heißt es lediglich. Das lässt der Fantasie viel Spielraum.

          Vorstellbar wäre beispielsweise, dass ein Terrorist alleine ein Flugzeug oder einen Hubschrauber auf ein Hochhaus steuert und nur durch Einsatz von Bundeswehr-Kampfjets gestoppt werden kann. Oder dass ein mit Sprengstoff beladenes Schiff in den Hamburger Hafen steuert und die Wasserschutzpolizei sich überfordert sieht.


          Relativ schwammig ist in dem Urteil formuliert, wie eindeutig die Hinweise auf den bevorstehenden Katastrophenfall sein müssen. Der „Unglücksverlauf“ müsse schon begonnen haben, heißt es. Es müsse aber „nicht abgewartet werden, bis der Schaden sich realisiert hat“. (dpa)

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