Klage überwiegend erfolgreich : Karlsruhe setzt Grenzen für Zwangsbehandlung in Psychiatrie
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Blick aus dem Fenster einer Patienten-Wohngruppe in einer Klinik für Forensische Psychiatrie: Das Bundesverfassungsgericht hat am Freitag zwei Beschlüsse zur Zwangsbehandlung in der Psychiatrie veröffentlicht. Bild: dpa
Ein Mann, dem gegen seinen Willen Neuroleptika verabreicht wurden, ging gerichtlich dagegen vor. Das Bundesverfassungsgericht gab ihm nun überwiegend recht.
In einem am Freitag veröffentlichten Beschluss hat das Bundesverfassungsgericht die Grenzen medizinischer Zwangsbehandlungen klargestellt. Einem Mann, der sich dagegen gewehrt hatte, gaben die Richter des Zweiten Senats überwiegend recht. Sie stellten klar, dass staatliche Schutzpflichten die Zwangsbehandlung eines Menschen nicht rechtfertigen, sofern er diese ausgeschlossen hat und Dritte nicht gefährdet.
Der Mann war infolge eines Strafverfahrens dauerhaft im Maßregelvollzug eines psychiatrischen Bezirkskrankenhauses untergebracht. Zuvor hatte er in einer Patientenverfügung klargestellt, dass er jeder behandelnden Person verbiete, ihm gegen seinen Willen Neuroleptika zu verabreichen. Im September 2016 beantragte das Bezirkskrankenhaus dennoch eine Zwangsbehandlung des Mannes, weil er an einer Schizophrenie vom paranoid-halluzinatorischen Typ leide. Die Behandlung sei notwendig, um ihn vor irreversiblen hirnorganischen Gesundheitsschäden zu bewahren.
Landgericht hatte in Behandlung eingewilligt
Das zuständige Landgericht willigte ein, auch in die Fortsetzung der Behandlung. Eine Beschwerde des Mannes wies das Oberlandesgericht zurück. Nach einer weiteren Verlängerung der täglichen Behandlung hob das Oberlandesgericht die Entscheidung auf und wies den Fall an das Landgericht zurück. Dort entschieden die Richter, dass die Patientenverfügung der Zwangsbehandlung nicht entgegenstehe.
Das Verfassungsgericht stellte nun klar, dass jede medizinische Behandlung gegen den Willen einer Person, in deren Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit eingreife. Dieses Recht schütze nicht nur die körperliche Integrität, sondern auch das Selbstbestimmungsrecht; eine Zwangsbehandlung mit Psychopharmaka wiege insofern besonders schwer.
In dem Beschluss heißt es: „Dies gilt hinsichtlich der Wirkungen von Neuroleptika schon mit Blick auf die nicht auszuschließende Möglichkeit schwerer, irreversibler und lebensbedrohlicher Nebenwirkungen. Psychopharmaka sind zudem auf die Veränderung seelischer Abläufe gerichtet. Ihre Verabreichung gegen den natürlichen Willen des Betroffenen berührt daher, auch unabhängig davon, ob sie mit körperlichem Zwang durchgesetzt wird, in besonderem Maße den Kern der Persönlichkeit.“
Die Richter heben hervor, dass ein derartiger Eingriff unter strengen Voraussetzungen gerechtfertigt sein könne, etwa wenn es um den Schutz Dritter gehe. Auch das Recht auf körperliche Unversehrtheit der betroffenen Person selbst könne eine staatliche Schutzpflicht auslösen, eine Zwangsbehandlung also rechtfertigen.
Das gelte aber nicht, wenn sie eine solche Behandlung ausgeschlossen habe und dabei einsichtsfähig gewesen sei. Denn, so die Richter: „Der Einzelne ist grundsätzlich frei, über Eingriffe in seine körperliche Integrität und den Umgang mit seiner Gesundheit nach eigenem Ermessen zu entscheiden.“