Synodaler Weg : Mehr Macht für Gläubige
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Papstbotschafter und Missbrauchsopfer: Nikola Eterović mit Johannes Norpoth und Kai Christian Moritz in Frankfurt Bild: Frank Röth
Die Vollversammlung des Synodalen Wegs leitet erste Reformen in der Katholischen Kirche ein. Bischöfe sollen künftig Rechenschaft ablegen. Eine Kontroverse über Missbrauch trübt die Stimmung auf der Veranstaltung.
Die Vollversammlung des Synodalen Wegs hat am Donnerstagabend zwei Texte mit der notwendigen Zweidrittelmehrheit aller anwesenden Mitglieder sowie der ebenfalls notwendigen Zweidrittelmehrheit der anwesenden Bischöfe verabschiedet. Mit 178 Ja- und 28 Nein-Stimmen billigten die abstimmungsberechtigten Mitglieder einen sogenannten Orientierungstext, mit dem sich das Reformprojekt seiner theologischen Grundlagen versichern wollte. Da der Text auch von den anwesenden Bischöfen mit 41 zu 16 Stimmen angenommen wurde, ist er verbindlich. Mit ähnlichen Mehrheiten wurde im Anschluss daran ein „Grundtext“ über „Macht und Gewaltenteilung in der Kirche“ gebilligt.
Der Orientierungstext, der sprachlich und inhaltlich als „von Theologen für Theologen“ charakterisiert wurde, ebnet einen „Weg der Umkehr und Erneuerung“ der Kirche, wie er im Angesicht von „Zeichen der Zeit“ für unumkehrbar gehalten wird. In der Flucht der theologischen Vorentscheidungen liegen grundstürzende Änderungen der Verfassung der katholischen Kirche, etwa was die Machtverteilung zwischen Bischöfen und Laien oder die Gleichberechtigung von Männern und Frauen betrifft. So verlangt der Synodale Weg nunmehr unter anderem eine zeitliche Begrenzung der Wahrnehmung von kirchlichen Leitungsämtern, die Beteiligung von Gläubigen an der Bestellung von Bischöfen sowie die Ablegung von Rechenschaft über deren Amtsführung.
Den Abstimmungen vorangegangen waren jeweils Debatten, in der die Redezeit wie schon bei der zweiten Vollversammlung im Herbst auf eine Minute verkürzt worden war. Die Debatten waren allerdings eine Farce, weil die darin geäußerten Meinungen gar nicht zur Abstimmung gestellt wurden und auch nicht in die Änderungsanträge eingehen sollten. Die Änderungsanträge waren vielmehr so gebündelt worden, dass die Verfasser des Antrags nahezu alles, was gegen den „inhaltlichen Drive“ gerichtet schien, vorab weitgehend eliminiert konnten.
Die Rolle von Papst Benedikt XVI.
Der Auftakt der Beratungen des Synodalen Wegs über Reformen in der katholischen Kirche war am Donnerstagnachmittag überschattet worden von einer Kontroverse über das jüngste Münchner Missbrauchsgutachten und die Rolle von Papst Benedikt XVI. bei der Ahndung sexueller Gewalt in der Kirche. Der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer erntete in einer ausführlichen Aussprache in Frankfurt massiven Widerspruch gegen Äußerungen, mit denen er die Seriosität des am 20. Januar veröffentlichten Gutachtens der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) in Zweifel zog.
Auf ungläubiges Staunen stießen Voderholzers Äußerungen, wonach seit langem bewiesen sei, dass Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. als Erzbischof von München und Freising im Jahr 1980 von der Aufnahme eines Priesters aus dem Bistum Essen zu Therapiezwecken in München nicht gewusst habe. Diese Behauptung wird inzwischen nicht einmal von Ratzingers Sekretär Georg Gänswein aufrechterhalten.
Ratzinger selbst wurde von einigen Synodalen als „theologische Lichtgestalt“ gefeiert, der überdies als Präfekt der vatikanischen Kongregation für die Glaubenslehre entschiedener als jeder andere Würdenträger gegen sexuelle Gewalttäter in der Kirche vorgegangen sei. Andere erinnerten allerdings auch daran, dass Ratzinger sich in seiner Stellungnahme gegenüber der Kanzlei WSW so eingelassen hatte, dass exhibitionistische Handlungen eines Priesters gegenüber einem Mädchen kein sexueller Missbrauch gewesen seien.
In der Kontroverse über die Glaubwürdigkeit des vormaligen Papstes Benedikt XVI. hatte sich zuvor auch der Münchner Erzbischof Reinhard Kardinal Marx in Widersprüche verwickelt. Wie aus dem WSW-Gutachten hervorgeht, war der vormalige Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz schon früh in die „Lügen“-Strategie Benedikts XVI. eingebunden und hat sie seinerseits noch befördert.
Lüge oder Fehler?
Demnach behauptete Marx in einer Stellungnahme unter dem Datum des 5. November 2021 an die Kanzlei, nach seinem Kenntnisstand und seiner Erinnerung sei der damalige Erzbischof Joseph Kardinal Ratzinger im Jahr 1980 nicht an der Einstellung des Priesters beteiligt gewesen „und hat auch nicht an einer Sitzung teilgenommen, in der dies damals Gegenstand war“. Diese Darstellung deckt sich mit der Stellungnahme Ratzingers gegenüber der Münchner Kanzlei vom 15. Dezember 2021. Beide Texte sind in dem Gutachten als Faksimile beigefügt.
Dass Ratzingers Behauptungen nicht der Wahrheit entsprechen, hat Benedikts Sekretär Gänswein in der vergangenen Woche eingestanden. Nach dessen Darstellung sollen die wahrheitswidrigen Behauptungen über die Abwesenheit Ratzingers in dessen Stellungnahme gegenüber der Kanzlei auf ein „Versehen bei der redaktionellen Bearbeitung der Stellungnahme“ beruhen. Es handele sich bei den wahrheitswidrigen Einlassungen demnach nicht um Lügen, sondern um einen Fehler.
Erst am Donnerstag hatte Marx in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ behauptet, er habe Ratzinger „weder in falscher Weise schützen noch ihm schaden“ wollen. Er habe seinem Beraterstab gegenüber immer deutlich gemacht: „Hier wird die Wahrheit nicht verbogen, das machen wir nicht“, lies Marx sich zitieren.
Unabhängig vom Wahrheitsgehalt dieser Aussage geht aus dem Gutachten hervor, dass Marx schon Anfang November über die Strategie des vormaligen Papstes im Bilde war, jede Beteiligung an der Übernahme des Priesters rundweg zu bestreiten. Tatsächlich ist Ratzinger in dem Protokoll der fraglichen Ordinariatssitzung vom 15. Januar 1980 nicht als abwesend vermerkt. Da während der Sitzung Sachverhalte mit Bezug zu dem Entzug der Lehrerlaubnis für den vormaligen Professorenkollegen Hans Küng zur Sprache kamen, die aus dem Kreis der Teilnehmer nur Ratzinger bekannt gewesen sein können, muss eine Anwesenheit des damaligen Erzbischofs als sicher gelten.
Ungereimtheiten finden sich auch in Marxens Einlassungen über sein Wissen im Jahr 2010 hinsichtlich der Umstände, unter denen es 1980 zu der Übernahme des pädophilen Priesters gekommen war. Ausweislich seiner Stellungnahme gegenüber der Kanzlei vom November 2021 wollte er schon im März 2010 gewusst haben, dass Ratzinger in der fraglichen Sitzung nicht anwesend war. Die Pressestelle des Erzbistums stellte den Sachverhalt damals jedoch für jedermann nachlesbar so dar, dass Ratzinger sehr wohl an der fraglichen Sitzung teilgenommen hatte, über den späteren Einsatz des Priesters in der Seelsorge jedoch nicht mehr informiert wurde. 2010 war das erste Mal der Vorwurf aufgekommen, Ratzinger sei damals anwesend gewesen.
In München hatte die Kanzlei WSW schon im Jahr 2010 ein Missbrauchsgutachten erarbeitet. Dieses war methodisch nicht so angelegt, dass es hätte veröffentlicht werden können, selbst wenn sich das Erzbistum als Auftraggeber später eines Besseren besonnen hätte. Personelle Konsequenzen zog Marx damals nicht. In der Zusammenfassung des Gutachtens, die im Dezember 2010 im Beisein Marxens öffentlich vorgestellt wurde, kamen indes alle Themen zur Sprache, die heute zu den „systemischen Faktoren“ gezählt werden, die sexuelle Gewalt im Raum der katholischen Kirche begünstigt hätten. In Frankfurt bekräftigte Marx am Donnerstag, dass er nichts richtigzustellen habe.