Stuttgart 21 : Der lange Atem des Widerstands
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Jede Wahrheit braucht ein Plakat: Stuttgart-21-Gegner im Dezember Bild: dpa
Die Gegner von Stuttgart 21 hören einfach nicht auf, die „Mahnwache“ ist immer noch rund um die Uhr besetzt. Über die Gründlichkeit schwäbischen Protests.
Auf dem Platz stehen ein paar Menschen im Kreis und machen Lärm mit Trillerpfeifen. Dann greift eine Frau zum Mikrofon und spricht über den Planfeststellungsabschnitt hier in Leinfelden-Echterdingen, einer Kleinstadt nahe Suttgart. Die anderen hören zu, es sind etwa zwanzig Leute. Sonst ist niemand da. Jeden Donnerstag seit bald 180 Wochen treffen sie sich hier zum „Schwabenstreich“, machen Lärm, halten Reden.
Bei der Volksabstimmung vor zwei Jahren hat Baden-Württemberg über Stuttgart 21 abgestimmt. Die Gegner des Tiefbahnhofs unterlagen deutlich. Sie verloren sogar in der Landeshauptstadt Stuttgart. Seitdem sagen wohl die meisten Anwohner: Baut endlich diesen Bahnhof. Und seitdem hat der Protest deutlich an Zulauf verloren. Trotzdem kann, wer mag, weiterhin fast die gesamte Woche mit „Mahnwachen“ und „Montagsdemos“, Prozessen und Protesten, Stammtischen und „Schwabenstreichen“ verbringen. Und einige machen das.
„Bürgerkrieg im Schlossgarten“
In der „Mahnwache“, einem kleinen Häuschen unmittelbar gegenüber dem Hauptbahnhof, stehen die Gegner rund um die Uhr – im Schichtbetrieb. Eigentlich ist die „Mahnwache“ ein Informationsstand, innen liegen unzählige Broschüren. Den „zentralen Anlaufpunkt für den Widerstand“ nennt es eine Frau, die hier Flugblätter verteilt. Doch die meisten, die hier vorbeikommen, sind schon informiert. Man erkennt sie an den grünen Buttons und Aufklebern auf Jacken und Fahrrädern. Sogar auf den Satteln klebt immer wieder: „Oben bleiben“ oder „K21“. Eine Frau trägt einen Button am Mantel, auf dem steht „Polizeistaat 21“. Ohne dass man ihr eine Frage gestellt hätte, spricht sie von Stuttgart 21 und der „Finanzmafia“, die Europa „fertig“ mache.
Eine ruhigere, aber nicht weniger deutliche Stimme des Widerstandes gehört Matthias von Herrmann. Er steht direkt gegenüber der „Mahnwache“ auf dem Dach des Bahnhofsturms. Rucksack, Outdoorjacke, randlose Brille. Über seinem Kopf dreht sich der große Mercedesstern, ein Wahrzeichen im Stuttgarter Kessel. Herrmann deutet nach unten. „Das hier war mal der Schlossgarten.“ Dort wurden im Herbst 2010 die Bäume gefällt, die Polizei setzte Wasserwerfer und Pfefferspray ein, um die Demonstranten zu vertreiben. Einen „Bürgerkrieg im Schlossgarten“ nannte das damals eine Zeitschrift. Es gab Hunderte Verletzte. In Stuttgart spricht man seitdem vom „Schwarzen Donnerstag“.
„Stuttgart 21 ist verkehrlicher Murks“
Ein paar Baracken stehen jetzt dort, einige blaue Rohre verlaufen über der Erde, ab und an sieht man einen Bauarbeiter. Im Jahr 2020 soll der Bahnhof nach Angaben der Bahn fertiggestellt sein, aber Herrmann glaubt nicht daran. Herrmann hat bei den Protesten seine Frau kennengelernt, die ist auch bei den „Parkschützern“. Er wurde zum Sprecher der Gruppe und zu einem Sprachrohr für die Proteste insgesamt, war ständig in den Medien. Mittlerweile hat er sich selbständig gemacht mit einer Beratungsfirma für Pressearbeit, aber weiterhin arbeitet er einen großen Teil seiner Zeit für die „Parkschützer“.
Herrmann zählt seine beiden Hauptargumente auf. Erstens sei bei der Volksabstimmung über 6,8 Milliarden Euro abgestimmt worden. Jetzt erwarte man mehr als zehn Milliarden Euro Baukosten. Zweitens: „Stuttgart 21 ist verkehrlicher Murks.“ Da werde ein „Leistungsrückbau“ als eine „Leistungssteigerung“ verkauft. „Unsere Ingenieure haben das mal durchgerechnet“, sagt er. „Das Ding wird so nicht gebaut.“