Debatte über Strafverfahren : „Bestes Werkzeug forensischer Genetik“
- -Aktualisiert am
Die DNA-Phänotypisierung wird als „diskriminierend“ verunglimpft, seitdem sie von Ermittlern und Politikern nach dem Mord Maria L. gefordert wurde. Bild: ddp
Künftig soll die Polizei aus DNA-Spuren auch Augen-, Haar- und Hautfarbe eines Täters herauslesen dürfen. Verboten bleibt die Feststellung der biogeographischen Herkunft. Warum?
Der Rechtsterrorist Uwe Mundlos hatte braune Augen und, wenn er nicht gerade eine Glatze trug, braune Haare. Diese Merkmale hätte man mit großer Wahrscheinlichkeit herausfinden können, hätte man an einem der NSU-Tatorte DNA-Material von ihm gefunden. Man hätte zudem seine wahrscheinliche biogeographische Herkunft – Europa – anhand der DNA-Spur analysieren können.
Für die Ermittlungen hätte das bedeuten können: Der Ansatz, die Mörder vor allem im Bereich der Organisierten Kriminalität, nach Tätern mit ausländischen Wurzeln zu suchen, wäre ins Wanken geraten. Denn die „Einzeltäterhypothese“ der Operativen Fallanalyse Bayern, einen rechtsextrem orientierten Mann mit „Hass auf Türken“ in Betracht zu ziehen, wäre dann vielleicht stärker in den Fokus gerückt.
Gesetzentwurf zur „Modernisierung des Strafverfahrens“
Das Szenario zeigt das Potential der DNA-Phänotypisierung, der Bestimmung äußerlicher Merkmale eines unbekannten Täters anhand seiner genetischen Spur: Je mehr man über das Aussehen eines Täters weiß, desto zielgerichteter kann man ermitteln. Das Verfahren, die wahrscheinliche Augen-, Haar- und Hautfarbe sowie ungefähr das Alter eines unbekannten Täters zu bestimmen, das in vielen Ländern schon angewendet wird, soll nun bald auch der deutschen Polizei erlaubt werden. Über einen entsprechenden Gesetzentwurf zur „Modernisierung des Strafverfahrens“, den das Bundeskabinett Ende Oktober beschlossen hat, berät an diesem Donnerstag erstmals der Bundestag.
Doch mit dem geplanten Gesetz wird der Polizei von vornherein aus politischen Gründen ein wichtiges Instrument untersagt: Aussagen zur biogeographischen Herkunft werden nicht erlaubt, obwohl man inzwischen die Herkunft nach Kontinenten eingrenzen kann. Anhand einer DNA-Spur können forensische Genetiker zuverlässig bestimmen, ob die Vorfahren des unbekannten Täters aus Europa, Sub-Sahara-Afrika, Ostasien oder Südasien stammen. Oder ob sie zur indigenen Bevölkerung in Ozeanien und Amerika gehörten.
Doch die Methode bleibt verboten, vor allem aus Sorge davor, dass durch die Ermittlungen womöglich Minderheiten an den Pranger gestellt werden könnten. Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) glaubt sogar, die Herkunft helfe ermittlungstaktisch nicht weiter.
Doch sie kann für Ermittlungen entscheidend sein – indem sie die Ergebnisse zur Augen- oder Haarfarbe bekräftigen und weiter ergänzen. Darauf weist die Deutsche Gesellschaft für Rechtsmedizin in einer aktuellen Stellungnahme zum Gesetzesentwurf hin. Ergibt sich also aus der DNA, dass der Täter mit hoher Wahrscheinlichkeit blaue Augen und blonde Haare hat, und weist zudem die Herkunft auf Europa, so wird die Zuverlässigkeit der Ergebnisse bestätigt: Blaue Augen und blonde Haare kommen in Kombination nur bei Personen vor, deren Vorfahren aus Europa stammen.
Hat die Person jedoch vermutlich schwarze Haare und braune Augen – diese Merkmale waren immer schon fast auf der ganzen Welt anzutreffen–, grenzt das die biogeographische Herkunft noch weiter ein: Sie kann unter anderem Hinweise auf Europa oder Asien geben. Daher empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Rechtsmedizin der Bundesregierung „dringend“, die Vorhersage der biogeographischen Herkunft noch zu ergänzen. Denn dieses Instrument, das Peter Schneider, Leiter der Spurenkommission und Professor für Molekulargenetik am Universitätsklinikum Köln, als „bestes Werkzeug der forensischen Genetik“ bezeichnet, leistet noch mehr.
Zusammen mit Haut-, Haar- und Augenfarbe ist die biogeographische Herkunft ein weiteres wichtiges Kriterium, nach dem der Personenkreis enger definiert werden kann, der für eine DNA-Reihenuntersuchung in Frage kommt. Hätte man diese Methoden im Fall der ermordeten Freiburger Studentin Maria L. angewendet, hätte man Hunderten Männern die Abgabe einer Speichelprobe ersparen und den Mörder womöglich schneller ermitteln können.
Der vorauseilende Anti-Diskriminierungseifer ist fragwürdig
Die DNA-Phänotypisierung wird jedoch als „diskriminierend“ verunglimpft, seitdem sie von Ermittlern und Politikern nach dem Freiburger Mord gefordert wurde. Dabei arbeitet die Methode nur das heraus, was Zeugenaussagen oder Videoaufnahmen auch hergeben könnten. Offensiv tritt die Bundesregierung jedoch nicht dafür ein.
Dabei ist gerade der vorauseilende Anti-Diskriminierungseifer auch deshalb fragwürdig, weil Minderheiten mit dieser Methode auch entlastet werden können. So gerieten in den Niederlanden nach der Vergewaltigung und Ermordung einer Sechzehnjährigen im Jahr 1999 die Bewohner eines Asylbewerberheims in der Nähe des Tatortes unter Verdacht. Die Analyse der biogeographischen Herkunft deutete später auf einen Spurenleger aus Nordwesteuropa. Überführt wurde schließlich nach einer Reihenuntersuchung ein blonder und blauäugiger Landwirt aus der Region.
Mörder und Vergewaltiger müssen ermittelt werden, ob ihre Vorfahren seit Menschengedenken in Europa siedeln oder ursprünglich in Afrika oder Asien zu Hause waren. Die erweiterte DNA-Analyse, die schwerwiegenden Fällen als Ultima Ratio vorbehalten sein sollte und einer intensiven Zusammenarbeit zwischen Ermittlern und Rechtsmedizin bedarf, kann einen Beitrag dazu leisten.
Eine Wunderwaffe ist sie nicht, weil sie nicht wie die klassische DNA-Analyse einen Spurenverursacher als Täter identifizieren kann. Aber sie kann in seine Richtung weisen. Verzichtet man dabei jedoch auf die biogeographische Herkunft, verspielt man bewusst eine weitere Chance, in aussichtslos scheinenden Fällen den Täter doch noch zu fassen.