SPD : Sechs Parteivorsitzende in neun Jahren
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Nun soll der Sauerländer den Pfälzer als Parteivorsitzenden ablösen Bild: REUTERS
Die Dekade an der Macht hat die SPD teuer bezahlt: Die älteste Partei Deutschlands hat seither fünf Parteivorsitzende verschlissen und muss nunmehr bei der Personalplanung auf Altgediente zurückgreifen. Viel Wandel, wenig Annäherung: Die SPD und ihre Vorsitzenden.
In diesen Wochen wollten einige Ortsvereine der SPD eigentlich ein kleines Jubiläum feiern. Am 27. September jährt sich der rot-grüne Wahlsieg zum zehnten Mal. Die Dekade an der Macht hat die SPD teuer bezahlt: Die älteste Partei Deutschlands hat seither fünf Parteivorsitzende verschlissen und muss nunmehr bei der Personalplanung auf Altgediente zurückgreifen. Neben reinen Machtkämpfen ging es stets auch - und das schon vor der „Agenda 2010“ - um einen Richtungsstreit zwischen „Modernisierern“ und „Traditionalisten“, wie die Lager noch in den neunziger Jahren hießen.

Politischer Korrespondent für Nordamerika mit Sitz in Washington.
Meist waren die Wechsel im SPD-Vorsitz mit mittleren und größeren Beben in der Parteizentrale verbunden. Zu Letzteren zählte der Abtritt Oskar Lafontaines, der seinen Rückzug im Frühjahr 1999 der Partei per Fax mitteilte. Das Arrangement des Frühjahrs 1998, als der saarländische Ministerpräsident Lafontaine dem niedersächsischen Regierungschef Schröder die Kanzlerkandidatur überließ, ging aus Sicht des Parteivorsitzenden nicht auf: Mangelnde „Teamarbeit“ warf der eine dem anderen nun vor. Tatsächlich waren Gerhard Schröder und dessen Kanzleramtsminister Bodo Hombach nicht gewillt, dem Finanzminister die Rolle des makroökonomischen Steuermanns auf dem Regierungsdampfer zu überlassen. Die Kurzschlussreaktion Lafontaines wurde mit dem Hinweis belegt, der Saarländer sei offenbar zu „dünnhäutig“. Diese Vokabel wird mehrere der folgenden Rücktritte charakterisieren.
Beliebt beim Volk, unbeliebt in der Partei
Schröder erinnerte sich 1999 an das Wort Helmut Schmidts, es sei ein Fehler gewesen, Kanzleramt und Parteivorsitz in unterschiedliche Hände zu legen - und griff zu. 1993 war ihm das Amt in einer Mitgliederbefragung zur Nachfolge Björn Engholms verwehrt worden. Schröder erfreute sich ähnlicher Beliebtheit unter den Deutschen und ähnlicher Unbeliebtheit unter Sozialdemokraten wie Helmut Schmidt. Ressentiments gegen Schröder, den „Genossen der Bosse“, suchte man zeitweilig durch Solidaritätsadressen von den Parteiautoritäten Günter Grass und Erhard Eppler zu überdecken. Weil sich Schröder aber nicht als Seelenstreichler der Partei eignete, stellte er sich Franz Müntefering als Generalsekretär an seine Seite. Die im Frühjahr 2003 verkündete Agendapolitik vertiefte die Entfremdung von Schröder und seiner Partei - durchorchestrierte Sonderparteitage und Basta-Befehle taten ein Übriges.
Im Frühjahr 2004 trat Schröder den Parteivorsitz an Müntefering ab. Dieser erzählt, Schröder habe ihm schon im Herbst 2003 den Vorsitz angetragen, weil er die Politik besser erklären könne. Er habe gezögert - erst sechs Monate später sei er bereit gewesen. Für viele Sozialdemokraten begann nun eine ambivalente Zeit: Parteiintern atmeten viele Genossen auf, endlich wurde (zumindest anfänglich) in den Gremien wieder diskutiert und zugehört. Doch reihte sich weiterhin Wahlniederlage an Wahlniederlage. Landauf, landab demonstrierten die Menschen gegen „Hartz IV“. Nach dem Machtverlust in Nordrhein-Westfalen im Mai 2005 zogen Schröder und Müntefering die Reißleine und strebten vorzeitige Bundestagswahlen an. Beide wollen die Idee dazu „gleichzeitig“ gehabt haben. Andere streuten, Müntefering habe Schröder mit der Bemerkung, er, Müntefering, könne den Laden nicht länger zusammenhalten, die Pistole auf die Brust gesetzt.
Häufiger Wechsel
Im darauffolgenden Herbst wurde Müntefering selbst zum Opfer der Flügelkämpfe, da er seinen Kandidaten für das Amt des Generalsekretärs, Kajo Wasserhövel, in der Parteiführung gegen die Gegenkandidatin und Parteilinke Andrea Nahles nicht durchsetzen konnte. Er legte den Vorsitz nieder, und Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck wurde zum Nachfolger bestellt - Kurt Beck war urlaubsbedingt nicht zugegen. Fünf Monate später tritt Platzeck - krankheitshalber - zurück.
Das Nervenkostüm des Ostdeutschen hielt dem Druck des Amtes nicht stand. Druck, so wird später zu hören sein, sei ihm vor allem durch Vizekanzler Müntefering gemacht worden. Im Frühjahr 2006 beginnt die Amtszeit Kurt Becks, der wie Platzeck die Doppelbelastung von Landes- und Bundespolitik und die Auseinandersetzungen mit dem Vizekanzler zu ertragen hat. Die SPD ringt weiter mit dem Erbe der Agenda 2010. Im Herbst 2007 setzt Beck sich in der Frage der Verlängerung des Arbeitslosengeldes gegen Müntefering durch, die Parteilinke schart sich hinter Beck. Nicht einmal ein Jahr später soll der Sauerländer den Pfälzer als Parteivorsitzenden ablösen.