SPD-Parteitag : Schmidt und Steinmeier beschwören europäischen Aufbruch
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Helmut Schmidt: „Das Vertrauen in die Verlässlichkeit der deutschen Politik ist beschädigt“ Bild: F.A.Z. Matthias Lüdecke
Der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt redet zum Auftakt des SPD-Parteitags in Berlin nicht nur seiner Partei ins Gewissen. Schmidt warnt vor einer „selbstverschuldeten Marginalisierung“ Europas.
Zum Auftakt ihres Parteitags hat die SPD mit ihren Welt- und Außenpolitikern Helmut Schmidt und Frank-Walter Steinmeier einen europäischen Aufbruch in Richtung einer tieferen Integration gefordert. Altkanzler Schmidt warnte vor einer „Marginalisierung Europas“ und vor einer Isolation Deutschlands. Der ehemalige Außenminister, Fraktionschef Steinmeier, schlug ein „Bündnis für Europa“ vor, das einen Bauplan für die Krisenbewältigung liefern solle.
Steinmeier sagte, die „alte Erzählung“ Europas, die Erzählung von Frieden und überwundener Teilung gelte zwar noch. Aber es müsse jetzt eine neue geben. Er bezeichnete die Rede des amerikanischen Präsidenten vor dem australischen Parlament in Canberra als epochalen Einschnitt – und als Stoff für eine Fortsetzung der europäischen „Erzählung“. Es sei nach dieser Rede „leider einfacher“ geworden, diese neue Erzählung für Europa zu finden. Obamas Rede sei so wichtig und historisch wie die Rede Präsident Kennedys in Berlin („Ich bin ein Berliner“). Der amerikanische Präsident habe in Australien Amerika als „pazifische Macht“ bezeichnet, mit dem Zusatz: „Wir sind hier, um hier zu bleiben.“
Obama habe damit die Höherwertigkeit der transatlantischen Beziehungen indirekt als überholt erklärt, sagte Steinmeier. Europa sei damit nicht mehr der privilegierte Partner Amerikas. Komme Europa nicht gestärkt aus der Krise, drohe dem Kontinent und seinen einzelnen Nationalstaaten deshalb die Bedeutungslosigkeit zwischen den Vereinigten Staaten und China.
Steinmeier stellte das „Bündnis für Europa“ in sieben Punkten vor.
Erstens: Der Rettungsschirm ESM müsse in einen Europäischen Währungsfonds übergehen; zweitens: ein Aufbauprogramm müsse eine europäische Industriepolitik begründen; drittens: eine europäische Arbeits- und Sozialpolitik (etwa zur Bekämpfung er Jugendarbeitslosigkeit) müsse durch eine Besteuerung der Finanzmärkte (Finanztransaktionssteuer) finanziert werden; viertens: Schuldenbremse, Sanktionen gegen Schuldensünder, Übertragung von Hoheitsrechten müsse ergänzt werden durch eine Regulierung der Finanzmärkte und die Bekämpfung von Steuerdumping; fünftens und das „Kernstück“ Altschulden müssten durch einen europäischen Tilgungsfonds abgetragen werden, der jedem Krisenland einen Konsolidierungspfad vorschreibt; sechstens: eine Kerngruppe, ein „Gravitätszentrum“ in der Eurozone müsse mit der Harmonisierung der Steuer- und Fiskalpolitik vorangehen; schließlich siebtens gehe es darum, die europäische Subsidiarität fortzuentwickeln.
Steinmeier verband seine Vorschläge mit harter Kritik an der Politik der Koalition. Bundeskanzlerin Merkel wehre sich zwar vehement gegen eine Vergemeinschaftung der Schulden. Tatsächlich sei aber die Stärkung der Europäischen Zentralbank (EZB) nichts anderes. „Sie hat die Kernschmelze der Europäischen Union verhindert“, sagte Steinmeier. Die Öffentlichkeit werde aber von der Koalition „hinter die Fichte geführt“. Steinmeier äußerte zugleich Zweifel daran, dass die „Nothilfe“ der EZB auch der Königsweg aus der Krise sei. Ein Vergleich zur „Federal Reserve“ oder anderen Notenbanken sei unzulässig, weil es diese Zentralbanken mit einem homogenen Währungsgebiet zu tun hätten. Die EZB sei allerdings schon jetzt eine informelle Wirtschaftsregierung.