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SPD Hamburg : Das System Johannes Kahrs

„Liebt euch - wir kümmern uns um den Rest“

Als Mitglied der Guttempler trinkt Kahrs keinen Alkohol. Er raucht nicht. Seinen Fernseher hat er abgeschafft, einen Führerschein nie gemacht. Dafür besitzt er alle Mickymaushefte seit 1972, „darunter sind einige Raritäten“. Seit 15 Jahren hat Kahrs nach eigenen Angaben einen festen Freund. Seine Homosexualität machte er vor elf Jahren öffentlich, als er in den Bundestag gewählt wurde. Heute ist er schwulen- und lesbenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, engagiert sich für die Teilnahme der SPD am Hamburger Christopher Street Day. „Liebt euch - wir kümmern uns um den Rest“, lautet ein Motto für den SPD-Wagen bei der Parade.

Und Kahrs kümmert sich - beim Preisskat im Polizeisportheim, beim Vortrag beim Verband der Reservisten, beim politischen Frühschoppen. Kahrs' inhaltliche Positionen wechseln, sofern überhaupt vorhanden, häufig. „Er kann problemlos das Gegenteil von dem vertreten, was er drei Wochen zuvor gefordert hat“, sagt ein Genosse über ihn. Klar ist nur, dass Kahrs in der SPD rechts ist. Die spinnerten Linken, die seien ihm schon an der Uni auf den Geist gegangen, sagt er. Nachdem er von Bremen nach Hamburg gekommen war, sucht Kahrs sich den Kreisverband aus, der bei den Linken als verloren angesehen wurde: Mitte.

Nächtlicher Telefonterror beim politischen Gegner

Dort hält der Kreisvorsitzende, der langjährige Bausenator Eugen Wagner, seine Hand über ihn. Wagner, ein „rechter Knochen“ in der Hamburger SPD, baut Kahrs auf. Kahrs wird 1991 Mitarbeiter der SAGA-Wohnungsbaugesellschaft, Wagner sitzt dort im Aufsichtsrat. Damals hätten [...] viele Jusos Wohnungen [...] in Hamburgs Mitte bekommen, erzählen Genossen. Kahrs baut eine rechte Juso-Gruppe auf. In seinem Büro, so berichten Genossen, hängen bald Fahnen in verschiedenen Farben: gewonnene Bezirke, feindliche und solche, die zu holen sind.

Auch Strategen machen Fehler. Kahrs macht einen großen 1992. Die damals 22 Jahre alte Silke Dose, linke Gegnerin von Kahrs im Hamburger Juso-Vorstand, erhält nachts anonyme Anrufe, in denen der Anrufer teils auflegt, teils schweigt oder sie mit Sätzen wie „Ich krieg dich, du Schlampe“ bedroht. Die junge Frau beantragt eine Fangschaltung. Im Mai 1992 tappt der damals 28 Jahre alte Kahrs zweimal in die Falle, als er gegen drei Uhr morgens seinen Telefonterror ausübt. Es kommt zu einem Gerichtsverfahren, das mit einem Vergleich endet. Kahrs erklärt sich bereit, 800 Mark Bußgeld an eine gemeinnützige Organisation zu zahlen. Er hatte sich einen guten Anwalt genommen: Ole von Beust, den CDU-Politiker und heutigen Ersten Bürgermeister Hamburgs. Im August 1992 fordern 50 in Hamburg bekannte Sozialdemokraten Kahrs auf, von sämtlichen Ämtern zurückzutreten und seinen Verbleib in der SPD zu überdenken. Doch die Affäre verläuft im Sand. „Völlig furchtlos kann er Menschen einschüchtern“, sagt ein bekannter Hamburger Sozialdemokrat über Kahrs.

Machtbasis systematisch auf- und ausgebaut

Seiner Karriere tut der Vorfall keinen Abbruch. Kahrs wird 1998 Bundestagsabgeordneter. Vier Jahre lang sitzt er im Verteidigungsausschuss, seit sieben Jahren im Haushaltsausschuss, wo er heute für den Etat des Verteidigungsministeriums zuständig ist. Kahrs' Kreisverband hat mehrfach hohe Spenden von deutschen Rüstungsfirmen wie Rheinmetall und Krauss-Maffei Wegmann erhalten. Die Summen lagen knapp unter der veröffentlichungspflichtigen Grenze von 10 000 Euro, insgesamt sollen 2005 und 2006 mehr als 60 000 Euro aus der Rüstungsindustrie geflossen sein. Kahrs sagt, alle Spenden seien legal. Viele Sozialdemokraten halten diese Gelder für „moralisch unannehmbar“. Heute blockiere er im Haushaltsausschuss manche Projekte so lange, bis er erreicht habe, dass bestimmte Firmen an ihnen beteiligt würden. Die Fraktionsführung, namentlich Fraktionschef Peter Struck, verschließe davor die Augen, sagen SPD-Abgeordnete.

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