Debatte über Andrea Nahles : „Für Sigmar Gabriel haben wir uns nie geschämt“
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Die SPD-Partei- und Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles im Mai bei einer Wahlkampfveranstaltung in Recklinghausen Bild: EPA
Am Dienstag stellt sich Andrea Nahles als Fraktionsvorsitzende einer vorgezogenen Wahl. Im Interview erklärt ihr Parteikollege Florian Post, warum er sie in diesem Amt für nicht mehr tragbar hält.
Herr Post, Sie haben sich deutlich gegen Andrea Nahles als Fraktionsvorsitzende gestellt. Warum sollte es den Sozialdemokraten allein dadurch besser gehen, dass die Parteichefin dieses Amt nicht mehr ausübt?
Das ist natürlich kein Automatismus. Nur weil eine Person weg ist, werden die Zustimmungswerte nicht automatisch besser. Aber es ist die Voraussetzung dafür, dass wir wieder in die Offensive kommen können. Denn so, wie es gerade läuft, funktioniert es einfach nicht. Alles wird von der Personaldebatte um Andrea Nahles überstrahlt, von der Diskussion über ihre Person.
Die Debatte, die Sie kritisieren, haben Sie aber auch selbst befeuert – mit einer Rücktrittsforderung, in der Sie Nahles vorwarfen, sich mit dem Fraktionsvorsitz nur einen Kindheitstraum erfüllen zu wollen.
Dass die Situation insgesamt der SPD nicht nützt, ist unbestritten. Aber die Personaldebatte lag schon lange auf dem Tisch und jetzt muss sie auch endlich geklärt werden – und das wird sie am Dienstag ja auch.
Aber bis jetzt gibt es ja nicht einmal einen Gegenkandidaten.
Es wird eine Bewerbung geben, davon bin ich fest überzeugt.
Sind Sie sich da so sicher, weil Sie selbst antreten wollen?
Ich werde es nicht sein, aber ich gehe fest davon aus: Es wird eine weitere Bewerbung geben.
Wie würde es denn am Dienstag weitergehen, wenn Nahles nicht im Amt bestätigt werden sollte? Könnte Sie Parteivorsitzende bleiben?
Andrea Nahles – das entnehme ich zumindest den Medien – hat diese Verknüpfung selbst hergestellt und das eine Amt vom anderen abhängig gemacht. Das hat ihr niemand aufgezwungen. Am Dienstag steht erst mal nur die Entscheidung über den Fraktionsvorsitz an.
Warum ist Nahles nicht mehr die Richtige für diesen Posten? Sind es ihre Positionen, ist es ihr Auftreten? Beides?
Was die Inhalte betrifft, kann ich nur sagen, dass sie eine hervorragende Arbeitsministerin war. Da werden Sie von mir auch nie irgendein negatives Wort hören. Aber das Problem ist die Umsetzung, die Vermittlung in der Öffentlichkeit. Allein der Auftritt in Bremen hat wieder sehr befremdend gewirkt.
Sie spielen auf den Wahlkampfabschluss in Bremen an, als Nahles mit Blick auf den dortigen Regierungschef Sieling sagte, sie liebe Bremen zwar nicht, aber ihre Heimat, die Eifel, und „auf jeden Fall Carsten“?
Ja. Und es ist vielen, nicht nur mir, klar, dass es solche Vorfälle immer wieder geben wird. Ich habe die Hoffnung aufgegeben, dass sich das ändert. Wie hat es ein Kollege mal gesagt: Über Sigmar Gabriel – oder andere Parteivorsitzende – haben wir uns oft geärgert, aber wir haben uns nie für sie geschämt.
Und für Andrea Nahles schämt sich die SPD?
Die öffentliche Wahrnehmung der Person Andrea Nahles ist inzwischen sehr negativ. Es gibt ja auch repräsentative Umfragen, die das bestätigen. Das ist nicht nur meine persönliche Einschätzung. Die große Frage ist halt: Bekommt sie das noch mal gedreht? Ich glaube das nicht. Und deshalb wäre es jetzt wichtig, dass sie nicht nur an sich und ihre Ambitionen denkt, sondern an das Wohl der Partei, und aufhört, die SPD in Geiselhaft zu nehmen.
Welcher Sozialdemokrat hätte denn ein besseres Image und könnte positiv wirken, nach innen und nach außen?
Ich tue Ihnen jetzt nicht den Gefallen und nenne Namen. Aber das Spielchen „Wer soll es denn sonst machen?“ spiele ich auch nicht mit. Das ist die falsche Frage und dient nur dem, der das Amt gerade innehat, nicht der Sache. Wir haben in der SPD über 400.000 Mitglieder, wir haben mehr als 150 Bundestagsabgeordnete – da gibt es auf jeden Fall andere fähige Personen, die den Fraktionsvorsitz übernehmen können.
Und welches Image sollte diese fähige Person der SPD dann geben?
Für unsere politischen Inhalte kämpfen, vermitteln, dass Klimaschutz nicht zum Nulltarif zu haben ist, dass man in diesem Zusammenhang auch die soziale Frage beantworten muss – das sind alles Themen, die die Leute bewegen. Dabei dürfen wir aber nicht linker als die Linkspartei oder grüner als die Grünen zu werden. Und natürlich müssen wir auch wegkommen von unserem Image als Funktionärspartei, wo alles in irgendwelchen Hinterzimmern ausgemacht wird. Wo es immer um solche Tricks geht, wie auch jetzt gerade, mit der von Nahles vorgezogenen Wahl. Das alles nutzt weder dem Ansehen der Partei, noch dem von uns als Berufspolitikern.
Da nutzt es aber auch nicht, dass die SPD mit ihren schier endlosen Personaldebatten den Fortbestand der großen Koalition aufs Spiel setzt.
Dieses Argument verstehe ich überhaupt nicht. Warum sollte die Regierung platzen, nur weil die SPD sich einen neuen Fraktionsvorsitzenden gibt oder einen neuen Parteichef wählt? Ist die Regierung etwa geplatzt, nur weil der Herr Brinkhaus zum Unionsfraktionsvorsitzenden gewählt wurde? Oder Kramp-Karrenbauer zur CDU-Vorsitzenden?
Das nicht. Aber derzeit strahlt die SPD auch nicht unbedingt aus, dass sie die Arbeit in der großen Koalition fortsetzen will.
Dass die große Koalition von uns nicht geliebt wurde und nicht geliebt wird, ist ja klar. Aber ich kann da jetzt trotzdem keinen Automatismus erkennen. Wenn die Personalfrage entschieden ist, dann haben wir die besten Voraussetzungen, um in der großen Koalition wieder ordentliche Arbeit zu machen.
Ihre bayerischen Parteikollegen haben für die Fortführung der Groko nun Bedingungen gestellt: ein neues Klimaschutzgesetz und eine Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung.
Ich bin nicht Teil des Landesvorstands und kann deshalb nicht sagen, wie der Beschluss genau zustande gekommen ist. Ich hätte den Schwerpunkt wahrscheinlich auf andere Aspekte gelegt, weil wir bei der Grundrente ja schon sehr glaubwürdig sind. Aber natürlich muss irgendwie zu erkennen sein, dass SPD-Punkte umgesetzt werden. Sonst muss man tatsächlich die Frage nach der weiteren Existenzberechtigung der großen Koalition stellen.