Enge Wohnverhältnisse: Im Göttinger Iduna Park kam es im Juni 2020 zu einem Corona-Ausbruch. Bild: Daniel Pilar
In den Kliniken werden viele Menschen mit Migrationshintergrund behandelt. Eine Landrätin schlägt Alarm: Sie seien Treiber der Pandemie, weil sie die Regeln ignorierten. Forscher verweisen eher auf den schwierigen sozialen Hintergrund.
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Das Städtchen Kirn, am Fuße des Hunsrücks gelegen, hat sich in den vergangenen Tagen zu einem Corona-Hotspot entwickelt. Bei etwa 700 lag die Inzidenz zuletzt. Mehrere Schulen sowie eine Kita mussten aufgrund von Covid-19-Ausbrüchen schließen. Im Zentrum stand dabei eine Baptistengemeinde, unter deren Mitgliedern viele Deutschrussen sind. Mindestens 25 von ihnen waren zuletzt infiziert. Insgesamt haben unter den Infizierten in Kirn sowie in der nahe gelegenen Stadt Bad Kreuznach nach Darstellung der Landrätin Bettina Dickes (CDU) rund drei Viertel einen Migrationshintergrund.
Seit langem wird über die Frage diskutiert, ob Menschen mit Migrationsgeschichte stärker von der Pandemie betroffen sind. Es gibt eine Reihe von Studien, die einen Zusammenhang zwischen dem sozialen Status und dem Risiko, an Covid-19 zu erkranken, belegen. In Amerika etwa sind Minderheiten wie Schwarze und Latinos besonders betroffen. In Deutschland ist die Lage etwas komplizierter, die Diskussion oft eher anekdotisch. Groß ist die Angst vor falschen Schlüssen, vor schlichter Stigmatisierung. Und oft ist nicht einmal klar, wer von den Betroffenen überhaupt einen Migrationshintergrund hat – denn auch dazu fehlen meist Daten. Sogar von einem „Tabuthema“ war die Rede. Dabei hatte schon im August vergangenen Jahres der Darmstädter Intensivmediziner Cihan Celik in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung darauf hingewiesen, dass viele seiner Patienten einen Migrationshintergrund hätten.
Außer dem Migrationshintergrund hätten viele eines gemeinsam, sagte er: dass sie aus sozioökonomisch schwachen Verhältnissen kämen, in prekären Verhältnissen arbeiteten oder in kleinen Wohnungen mit vielen anderen zusammenlebten. Auch die Sprache sei ein Problem. Und wenn man jetzt, in der dritten Welle, mit Ärzten spricht und in Kliniken nachfragt, wird oft wieder ein Zusammenhang zwischen Infektion und Armut beschrieben. Wo die Lebensumstände schwieriger sind, ist auch ein Schutz vor einer Infektion schwieriger. Alles ist miteinander verwoben. Aber was bedeutet das für den Kampf gegen die Pandemie?
Zusammenhang zwischen Infektion und Armut
Weil der Migrationshintergrund bei der Aufnahme von Patienten aus guten Gründen nicht erfasst wird, gibt es kaum zuverlässige Daten über die Ansteckungshäufigkeit und auch die Schwere des Verlaufs. Belegt ist, dass Menschen mit Migrationshintergrund häufiger schlecht bezahlte Jobs haben und auch als Pflege- oder Reinigungskräfte in Krankenhäusern einem höheren Ansteckungsrisiko ausgesetzt sind. Im vergangenen Herbst ging der Landrat des baden-württembergischen Landkreises Esslingen, Heinz Eininger (CDU), der Sache mal auf den Grund: Er ließ anhand der Vornamen von Personen, die sich mit Sars-CoV-2 infiziert hatten, ermitteln, wie hoch der Anteil der Infizierten mit Migrationshintergrund sein könnte.
Er schloss zum Beispiel aus dem Namen Zoltan auf eine Einwandererbiographie. Das ist natürlich dünnes Eis, auf das man sich da begibt. Das Ergebnis lautete: Während in der ersten Pandemie-Welle der Anteil der Infizierten mit Migrationshintergrund 14 Prozent betrug, lag er in der zweiten Welle Anfang Oktober bei 59 Prozent. In dem Landkreis haben Bürger aus Einwandererfamilien aber nur einen Anteil von 27 Prozent.