Seehofer zur Seenotrettung : Ein Minister wehrt sich gegen seine Partei
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„Humanität und Legalität“ seien die Gedanken, die sein Handeln leiteten: Seehofer kontert beim Thema Seenotrettung die Kritik aus seiner Partei. Bild: EPA
Ein neuer Horst Seehofer? Der Innenminister lobt die Harmonie mit Angela Merkel – und wirft seinen Kritikern aus der Union Ahnungslosigkeit vor, wenn es um die Seenotrettung geht.
„Zwölf Uhr mittags“ heißt ein berühmter Western. Horst Seehofer tritt am Donnerstag genau um diese Uhrzeit im Bundesinnenministerium an, um auf seine Kritiker zu schießen. Verbal natürlich, aber mit voller Wucht. „Es ist unglaublich, dass man sich als Innenminister für die Rettung von Menschen rechtfertigen muss.“ Seehofer wettert nicht gegen die AfD. Auch nicht gegen Rote, Grüne oder Linke. Es sind vielmehr seine eigenen Leute aus der CSU und aus Teilen der CDU, die ihn tags zuvor in der F.A.Z. heftig angegriffen hatten.
Denn Seehofer hatte zugesagt, Deutschland werde in Zukunft ein Viertel der aus Seenot geretteten Migranten aufnehmen. Das sei „keine vorausschauende Migrationspolitik“, hatte ihm seine Parteifreundin Andrea Lindholz, Vorsitzende des Innenausschusses im Bundestag, vorgeworfen. Andere hatten ihn bezichtigt, mit seinem Vorschlag neue Fluchtanreize zu schaffen, ja letztlich sogar das Geschäft der Schleuser zu befördern.
Er weise solche Kritik „aufs Schärfste zurück“, sagt Seehofer nun. Von einer Änderung ihrer Migrationspolitik sei die Bundesregierung „Lichtjahre“ entfernt. Doch durch die seiner Ansicht nach ungerechtfertigte Kritik entstehe bei der Bevölkerung der Eindruck, er wolle eine große Zahl von Migranten nach Deutschland lassen. Einer solchen „Fehlinformation“ müsse er entgegentreten.
Von Obergrenze spricht Seehofer nicht mehr
Seehofer will seine Kritiker dafür „mit Realitäten und Tatsachen konfrontieren“, denn sie führten eine „oberflächliche Debatte“. Er hat sich dafür Zahlen notiert. Seit Juli vorigen Jahres seien 2199 Menschen von Nichtregierungsorganisationen und der italienischen und maltesischen Küstenwache aus Seenot gerettet worden. Deutschland habe für 565 von ihnen eine Zusage gegeben, dass sie hierher gebracht werden könnten, doch nur 225 seien nach Deutschland gekommen. „225 in 15 Monaten“, sagt Seehofer und wiederholt diesen Satz. Er setzt diese Zahl ins Verhältnis zu den 98.000 Erstanträgen auf Asyl, die es in diesem Jahr bis zum August gegeben habe. Seehofer sieht allerdings auch diese Zahl als Erfolg an. Es seien zehn Prozent weniger als im Jahr zuvor.
Insgesamt rechnet er für 2019 mit 140.000 bis 150.000 Asylanträgen, das könnten, wie er sagt, bis zu 25.000 weniger sein als 2018. Der im Koalitionsvertrag vereinbarte „Korridor“ – von Obergrenze spricht Seehofer nicht mehr – werde also weit unterschritten, der liegt bei 200.000 Schutzsuchenden. Seehofer widerspricht so seiner Parteifreundin Lindholz, die gesagt hatte, dass die Obergrenze „in diesem Jahr erreicht werden könnte“.
Der Minister berichtet davon, dass er sich am Mittwoch mit der neuen italienischen Innenministerin Luciana Lamorgese getroffen habe, der Nachfolgerin des für seine harte Linie bekannten vorigen Innenministers Matteo Salvini von der rechtspopulistischen Lega. Er sei nach dem Gespräch zuversichtlich, dass die Bundesregierung mit Italien ein neues Kapitel der Zusammenarbeit aufschlagen könne. „Diese Chance müssen wir ergreifen.“ Deshalb wolle er am Montag bei einem Treffen auf Malta mit den Innenministern aus Italien, Frankreich und Malta ein Konzept für die europäische Seenotrettung erarbeiten. Das soll am 18. Oktober im Europäischen Rat den Staats- und Regierungschefs der EU vorgelegt werden und könnte dort beschlossen werden.
Seehofer ist sich bewusst, dass nicht alle EU-Staaten aus Seenot gerettete Migranten aufnehmen würden. Er hoffe, dass sich möglichst viele EU-Staaten beteiligen, sagt er. „Ich glaube, dass man ein Dutzend erreichen kann.“ Wer nicht teilnehmen wolle, solle Personal oder Geld beisteuern.
Er lasse sich bei seinem Vorgehen vom Gedanken der „Humanität und Legalität“ leiten und achte darauf, „dass wir nicht das Geschäft der skrupellosen Schleuser besorgen“. Wie genau er das machen will, dazu sagt Seehofer nichts. Aber alle, die „Pull-Effekte“, also Anreize für verstärkte Fluchtbewegungen fürchteten, könnten „ihre Sorgen vergessen“. „Pendelschiffe“, die regelmäßig Migranten an der libyschen Küste abholen und in Italien an Land bringen, dürfe es nicht geben.
Die eigentliche Gefahr für eine ungeordnete neue Migrationswelle sieht Seehofer auf der Balkan-Route, wegen der Zustände in Griechenland und in der Türkei. So seien am Mittwoch an einem einzigen Tag 791 Flüchtlinge auf den griechischen Inseln angekommen. Er werde deshalb Anfang Oktober nach Griechenland und in die Türkei reisen. Deutschland werde den Griechen vorschlagen, dass Beamte des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) bei Asylverfahren beraten und bei ihrer Registrierung helfen und auch dabei, Flüchtlingslager winterfest zu machen.
Mögliche Unterstützung für die Türkei
In der Türkei will der Minister erfahren, wo die türkische Regierung die Verpflichtungen der EU aus dem Flüchtlingsabkommen nicht erfüllt sehe, auch will die Bundesregierung Ankara etwa die Unterstützung der türkischen Grenzpolizei anbieten. Wenn auf der Balkan-Route keine Stabilisierung gelinge, dann könne es wieder zu einer Politik des „Durchwinkens“ kommen, sagt Seehofer, doch habe man der Bevölkerung versprochen, „dass sich 2015 nicht wiederholt“.
Seehofer betont seine harmonische Zusammenarbeit mit der Bundeskanzlerin. Er habe mit ihr jeden Schritt abgestimmt. „Das ist etwas völlig anderes als vor einem Jahr.“ Seinen Ansatz in der Migrationspolitik begründet er so: „Ich bin Mitglied einer christlichen Partei, und ich war Vorsitzender einer christlichen Partei.“
Ob es einen anderen Horst Seehofer gebe als noch vor einem Jahr, wird er gefragt. Nein, sagt der Innenminister. Und weist darauf hin, dass er als Ministerpräsident im Bayerischen Landtag im Juli 2015, also vor Beginn der heißen Phase der Flüchtlingskrise, eine Rede gehalten habe, in der er von seinem Leitbild der „Humanität und Ordnung“ gesprochen habe. Für diese Rede, so erinnert er sich, habe er stehende Ovationen der CSU-Abgeordneten erhalten. Jenen Horst Seehofer, den es in den Jahren danach gab, will der Minister an diesem Tag offenbar lieber vergessen machen.