Fall Edathy : Der Preis der Klarheit
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Wie ein Ausschussvorsitzender: Edathy auf der Anklagebank in Verden Bild: Getty
Vor dem Landgericht Verden hat der Prozess gegen Sebastian Edathy begonnen. Der sieht sich selbst weiterhin als Opfer. Ein Schuldeingeständnis könnte das Verfahren schnell beenden.
Sebastian Edathy hat kaum etwas mitgebracht in den Gerichtssaal. Vor ihm liegt ein schwarzer Taschenkalender. Er ist aufgeschlagen, es ist der 23. Februar 2015, 10 Uhr. Der frühere Bundestagsabgeordnete sitzt vor der 2.Großen Strafkammer des Landgericht Verden auf der Anklagebank. An Edathys Seite ist sein Berliner Anwalt Christian Noll, ihm gegenüber hat der Hannoveraner Oberstaatsanwalt Thomas Klinge Platz genommen.
Wie jedes andere Verfahren beginnt auch der Edathy-Prozess mit der Feststellung der Personalien. „5.9.69“, sind die ersten Worte des früheren Bundestagsabgeordneten. „Hannover“. „Ledig“. „Zur Zeit ohne Beschäftigung“. Im Protokoll der Verhandlung dürfte erst aus der Antwort auf die Frage nach der Anschrift deutlich werden, dass es sich um kein gewöhnliches Verfahren handelt. Draußen stehen mehr als ein Dutzend Übertragungswagen. Edathy bittet darum, seine Adresse im Gerichtssaal nicht laut nennen zu müssen.
In einem gewöhnlichen Verfahren würde nun die Verlesung der Anklageschrift folgen. Stattdessen verliest Edathys Anwalt eine viele Seiten lange Erklärung. „In diesem Verfahren ist etwas aus dem Lot geraten“, hebt Noll an. „Davon, dass die Unschuldsvermutung gilt, hat Herr Sebastian Edathy im letzten Jahr wenig gemerkt.“ Zunächst spricht Noll über den Celler Generalstaatsanwalt Frank Lüttig. Seit Freitag ist bekannt, dass Lüttig unter Verdacht steht, in der Causa Wulff wie in der Causa Edathy Dienstgeheimnisse an die Presse durchgestochen zu haben.
Eine Steilvorlage für Edathys Anwalt. Denn nach Nolls Darstellung ist nicht Oberstaatsanwalt Klinge, sondern Generalstaatsanwalt Lüttig derjenige, der im Fall Edathy die Fäden zieht. Lüttig habe die Vollmacht gehabt, Ende Januar 2013 die Gangart gegen Edathy zu verschärfen und auf eine Durchsuchung zu dringen. Noll spricht mit Blick auf Lüttig zudem von einer „Steuerung der Medienberichte“. Und Lüttig sei auch immer noch „Herr des Verfahrens“, da er bisher nicht suspendiert worden sei. „Was ist das eigentlich für ein Verfahren, in dem der Angeklagte nicht weiß, ob der Mann, der das Verfahren gegen ihn eingeleitet hat, eine Straftat gegen ihn begangen hat?“
„Die Strafe hier könnte nicht höher sein“
Dann wendet sich Noll den Medien zu. Er spricht von „medialer Vorverurteilung“ und stellt Sebastian Edathy in eine Reihe mit Klaus Zumwinkel, Uli Hoeneß und Alice Schwarzer. Die Staatsanwaltschaften, klagt Noll, betrieben die Verfahren statt im Gerichtssaal mehr und mehr in der Öffentlichkeit. Das sei eine „Amerikanisierung der Verhältnisse“. Sein Mandant sei dadurch schon genug gestraft. „Die Strafe hier könnte nicht höher sein.“ Kein Arbeitgeber wolle Edathy mehr einstellen. Freunde hätten sich von ihm abgewandt. Er erhalte Morddrohungen. Noll Vortrag mündet in die Forderung, das Verfahren einzustellen. Mindestens aber müssten die Ermittlungen gegen Generalstaatsanwalt Lüttig abgewartet werden.
Es ist nun 10.45 Uhr. Noll hat lange gesprochen. Das Wort hat der Oberstaatsanwalt. „Zunächst dachte ich, dass man dazu nicht viel zu sagen braucht“, sagt Thomas Klinge. Die Sache mit Generalstaatsanwalt Lüttig sei aber auch für ihn ein einmaliger Vorgang, gesteht Klinge zu. Ansonsten habe Noll aber „nichts Neues“ vorgetragen. „Wir sollten hier vorankommen“, fordert Klinge. Nach einer kurzen Beratungspause stimmt das Gericht dem Staatsanwalt zu. „Die Hauptverhandlung wird zunächst fortgesetzt“, verkündet Richter Jürgen Seifert. Die Strategie von Noll und Edathy, den Prozess abzuwürgen, ist fehlgeschlagen. Sachkundige Juristen hatten das so prognostiziert.
Es ist elf Uhr, als Staatsanwalt Klinge mit der Verlesung der Anklageschrift beginnt. Diese besteht vor allem aus Zahlen: Datum, Stunde, Minute, Sekunde. Klinge liest vor, wann Edathy sich im November 2013 über seinen Bundestagslaptop Kinderpornos angeschaut haben soll. Der Laptop selbst ist Edathy am 31. Januar 2014 angeblich auf einer Bahnfahrt nach Amsterdam gestohlen worden. Das größte Problem bei der Verteidigung Edathys ist, dass mit dem Laptop nicht die Log-Dateien seiner Internetverbindungen bei der IT-Abteilung des Bundestags verschwanden.