Schwarz-Grün in Hessen : Zwei Jungs aus dem Hüttendorf
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Auch eine Art der Sondierung: Zusammenstöße von Flughafengegnern und Polizisten im Jahr 1981 Bild: Barbara Klemm
Für die Grünen gehört der Kampf gegen die Startbahn West zum Gründungsmythos ihrer Partei. Eine Koalition mit der CDU galt schon wegen des Flughafenausbaus als undenkbar. Unter der Einigung leidet nun vor allem die SPD.
Es ist der 14. November 1980, ein kalter Tag, der Himmel über Frankfurt ist bewölkt. Volker Bouffier besucht das Hüttendorf im Flörsheimer Wald. Der Vorsitzende der Jungen Union in Hessen trifft sich mit Vertretern der Bürgerinitiativen, die sich gegen den Bau der Startbahn West wenden und in selbstgebauten Holzverschlägen wohnen. Nicht ausgeschlossen, dass an diesem Tag auch ein neun Jahre alter Junge namens Tarek durch das Hüttendorf läuft. Seine Mutter, die Offenbacher Lehrerin Gerhild Knirsch, ist in der Szene engagiert und nimmt ihren Sohn oft mit ins Hüttendorf.
Tarek heißt wie sein Vater mit Nachnamen Al-Wazir und ist heute Vorsitzender und unangefochtene Führungsfigur der hessischen Grünen. Dieser Tage sitzt er in Schlangenbad mit Bouffier zusammen, um den Vertrag für eine schwarz-grüne Koalition auszuhandeln, bei dessen heikelstem Thema, dem Umgang mit dem Frankfurter Flughafen, sich der gealterte Junge aus dem Hüttendorf gegen den Ministerpräsidenten in etlichen Punkten durchsetzen konnte.
Fragt man Al-Wazir nach seinen Erinnerungen an das Hüttendorf, dann fällt ihm als Erstes ein, dass er oft gefroren hat. Und dass er sich einmal im Auto der Bürgerinitiative aufwärmen durfte, das sogar mit einem Funkgerät ausgestattet ist. Viele seiner älteren Parteifreunde haben sehr viel genauere Erinnerungen an jene Zeit, die prägend war für ihr politisches Engagement.
Der Einsatz für Naturschutz und gegen Umweltverschmutzung, das Gemeinschaftserlebnis, gegen einen übermächtigen Gegner anzutreten und das unter den Augen des gesamten Landes – es war eine berauschende und einschneidende Erfahrung, denn im Lauf des Jahres 1981 spitzten sich die Ereignisse am Flughafen zu. Die Auseinandersetzungen von Demonstranten und Polizei wurden immer gewalttätiger, bis im Herbst nach der Räumung des Dorfes regelrechte Schlachten geschlagen werden. Am Ende steht die Ernüchterung für die Protestbewegung, die Bahn wird gebaut und 1984 in Betrieb genommen.
Den Demonstranten mit der Dachlatte gedroht
Schaut man in die Biographien führender Grüner, dann findet man auf allen politischen Ebenen ehemalige Startbahn-Kämpfer: die Frankfurter Umweltdezernentin Rosemarie Heilig zählt dazu, der Landtagsabgeordnete Marcus Bocklet und der ehemalige Außenminister Joschka Fischer sowieso. Dass mit Fischer, mit Jutta Ditfurth, Daniel Cohn-Bendit und Tom Koenigs sehr viele Hochbegabte der jungen Partei aus Frankfurt stammen, mag dazu beigetragen haben, dass der Kampf gegen die Startbahn West als Gründungsmythos der Partei gilt.
Umso größer war der Kummer der Flughafengegner, als die Startbahn allen Bemühungen zum Trotz gebaut wurde. „Danach sind viele von uns erst einmal in eine tiefe politische Depression gefallen“, sagt Jutta Ebeling, bis 2012 Bürgermeisterin in Frankfurt und immer noch heimliche Vorsitzende der dortigen Partei. Auf einen ist Ebeling besonders schlecht zu sprechen: auf den damaligen hessischen Ministerpräsidenten Holger Börner (SPD). Schließlich war es die von Börner geführte sozialliberale Landesregierung, die am Flughafen rigoros durchgreifen ließ.
Mit Verweis auf Börner wies Ebeling neulich während der Sitzung des Parteirats die nachgeborenen Parteifreunde darauf hin, dass die SPD in historischer Perspektive keineswegs der natürliche Verbündete der Grünen sei. Sie erinnerte daran, dass Börner den Demonstranten an der Startbahn West mit der „Dachlatte“ gedroht habe. Bürgerinitiativen ernst zu nehmen, gehörte im Jahr 1981 noch nicht zu den politischen Reflexen der SPD.