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Schulz beflügelt SPD : „Irgendwann reicht es nicht mehr, nur der Neue zu sein“

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Geht es für Martin Schulz noch weiter nach oben? Oder ist der derzeitige Trend in den Umfragen nur ein Strohfeuer? Bild: dpa

Glückliche Genossen: Martin Schulz sorgt bei der SPD für einen Höhenflug, an den viele Sozialdemokraten selbst nicht mehr geglaubt haben. Hält die Euphorie bis zur Wahl?

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          Auf Twitter liest man unter dem Hashtag „SchulzFacts“ zuweilen Zeilen wie diese: „Der Kanzler-Dienstwagen von Martin Schulz braucht kein Benzin. Er fährt aus Respekt.“ Natürlich sind diese Tweets nicht ganz ernst gemeint. Trotzdem schwingt in solchen Zeilen auch ein wenig die Begeisterung über den SPD-Kanzlerkandidaten mit. Dieser Hype macht sich zur Zeit aber vor allem an den Umfragewerten der Sozialdemokraten fest: Jahrelang war die SPD im Umfragekeller verschollen, wurde belächelt und bemitleidet. Dann kam Martin Schulz.

          Seit Sigmar Gabriel den ehemaligen Präsidenten des EU-Parlaments zum Kanzlerkandidaten und Parteivorsitzenden gemacht hat, schlägt das Parteiherz wieder. Veranstaltungen mit Schulz sind ausgebucht, mehr als 3000 neue Mitglieder hat die SPD seit dem Führungswechsel verzeichnet. Innerhalb von zwei Wochen sind die Umfragewerte der Partei um zehn Prozent gestiegen, in der jüngsten Emnid-Erhebung kommt die SPD auf 33 Prozent und liegt damit zum ersten Mal seit zehn Jahren vor der Union. Auch bei der Kanzlerpräferenz hat Shootingstar Schulz Bundeskanzlerin Angela Merkel überholt. 49 Prozent der Befragten hätten nach einer aktuellen Umfrage lieber den Herausforderer als Regierungschef, Merkel bevorzugen derzeit 38 Prozent. Ende Januar war die Reihenfolge noch umgekehrt: Merkel lag mit 44 Prozent knapp vor Schulz, für den 40 Prozent waren.

          „Demokratie braucht Differenz“

          Für den Münchner Soziologen Armin Nassehi kommt das nicht überraschend. „Martin Schulz stilisiert sich als unverbrauchtes Gesicht und bringt damit frischen Wind in die Bundespolitik,“ sagt er. Schulz liefere das, was der Wähler sich wünsche: eine Alternative zu Angela Merkel – und damit das Gefühl, wieder eine Wahl zu haben.

          Allzu lange habe die Bundespolitik so gewirkt, als gebe es jenseits extremer Positionen keine legitimen Alternativen, so Nassehi im Gespräch mit FAZ.NET. „Das ist das, was wohl die größte Unzufriedenheit ausgelöst hat. Zumindest diese Möglichkeit bietet Schulz derzeit an.“ Demokratie brauche Differenz, sagt Nassehi. „Das politische Publikum erlebt seine Haltung nur dann als eine Entscheidung, wenn es auch anders hätte entscheiden können.“

          Umfrage

          , Umfrage von:
          Quelle: wahlrecht.de Alle Ergebnisse aus Bund und Ländern

          Den Unterschied zu Angela Merkel hebt Martin Schulz derzeit denn auch mit aller Kraft hervor. Merkels nüchterner Sprache setzt er eine emotionale und überschwängliche Rhetorik entgegen, die bei vielen Genossen eine Begeisterung auslöst, die es in der SPD schon lange nicht mehr gab. Doch auch seine unkonventionelle Biographie unterscheidet Schulz von anderen Berufspolitikern: kein Abitur, kein Studium – stattdessen eine schwierige Jugend. Dennoch schaffte es Schulz – allen Widrigkeiten zum Trotz – an die Spitze des Europaparlaments und jetzt zum SPD-Vorsitzenden und Kanzlerkandidaten. Die deutsche Variante des amerikanischen Traums. Hinzu kommt, dass er – zumindest auf dem Papier – ein Mann aus dem Volk ist: Als Bürgermeister der westfälischen Kleinstadt Würselen hat Martin Schulz seine Wurzeln in der Kommunalpolitik.

          Problem Profillosigkeit

          Martin Schulz werde nun versuchen, so lange wie möglich von diesem Differenzeffekt zu zehren, vermutet Nassehi, der an der Ludwigs-Maximilians-Universität in München lehrt. „Er wird bei der Programmatik so lange wie möglich diffus bleiben und ganz auf sein Charisma und seine Authentizität setzen.“ Doch Charisma lasse sich nur kurze Zeit konservieren. Je näher der Wahltag rücke, desto drängender werde die Frage sein, wie er sich politisch positioniert. Allein mit der Tatsache, dass Schulz eben nicht Merkel ist, werde die Wahl kaum zu gewinnen sein, glaubt Nassehi.

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          Bislang hat Schulz allerdings nur Konturen eines Programms erkennen lassen; inhaltlich bleibt er noch weitgehend profillos und vage. Eine grobe Richtung im Wahlkampf hat Schulz aber schon vorgegeben: Er will sich für „die hart arbeitenden Menschen“ stark machen. Das Motto seiner Kampagne heißt bisher „Zeit für mehr Gerechtigkeit.“ Das klingt danach, als wolle sich Schulz auf die früheren Kernthemen und die Stammklientel der Sozialdemokraten besinnen – ob das verfängt, sehen einige Beobachter aber kritisch. „Das Gerechtigkeitsthema wird nicht einfach als Umverteilungspolitik funktionieren“, ist Armin Nassehi überzeugt. Entscheidend werde sein, ob die SPD das alte sozialdemokratische Versprechen des sozialen Aufstiegs durch Bildung und Arbeit an die Bedingungen des 21. Jahrhunderts anpassen könne.

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