Schavans Plagiatsaffäre : Manchmal nur ein Teilsatz
- -Aktualisiert am
Die Vorwürfe sind auf der Website „schavanplag“ zu finden Bild: dapd
56 von 351 Seiten soll Annette Schavan bei ihrer Doktorarbeit plagiiert haben. Das wird auf der Website „schavanplag“ behauptet. Die Vorwürfe sind gut dokumentiert.
Annette Schavan hat in ihrer Dissertation 351 Seiten über „Person und Gewissen“ geschrieben. Auf 56 der Seiten soll sie plagiiert haben. Das wird auf der Website „schavanplag“ behauptet. Die aufgeführten Belege sind in zwei Kategorien eingeteilt: „schwache“ und „gravierende“ Plagiate. Detailliert werden Seite um Seite, Zeile um Zeile aus Schavans Arbeit aufgeführt. Den mutmaßlichen Plagiaten stehen die Originalquellen gegenüber. Das macht es leicht, die Vorwürfe zu überprüfen.
Manchmal soll in der Dissertation nur ein Satz oder Teilsatz ohne Quellenangabe übernommen worden sein. So beginnt zum Beispiel auf Seite 280 ein Absatz mit: „Die im täglichen Leben gemachte Erfahrung, dass sich ein schlechtes Gewissen stärker und über längere Zeiträume hinweg bemerkbar macht als ein gutes...“ In leichter Abwandlung findet sich diese Formulierung in dem schmalen Band „Das Gewissen“ des Moraltheologen Johannes Stelzenberger aus dem Jahr 1961: „Auch aus unseren Lebenserfahrungen wissen wir, daß sich das Schuldgefühl meist stärker, öfter und über längere Zeiträume hinweg bemerkbar macht als das gute Gewissen.“ Schavan zitiert wenige Sätze zuvor noch mit Fußnote aus Stelzenbergers Aufsatz. Die zitierte Stelle befindet sich kurz vor dem Satz, der ohne Kenntlichmachung übernommen wurde.
Fehlende Quellen bei identischen Zusammenfassungen
Nicht alle bemängelten Passagen der Dissertation sind so kurz. Mehrfach wird auf Primärliteratur wie Freuds „Unbehagen in der Kultur“ oder Werke des österreichischen Psychologen Igor Caruso verwiesen. Zum Teil werden Inhalte dieser Werke auch zusammengefasst wiedergegeben. Allerdings gleichen die Zusammenfassungen bis in den Wortlaut Aufsätzen aus der Sekundärliteratur. Und die ist als Quelle an den betreffenden Stellen nicht angegeben.
Ein deutliches Beispiel für eine solche mutmaßliche Übernahme findet sich auf den Seiten 296 und 297. Dort werden Ausführungen des Tübinger Philosophen Schwartländer zusammengefasst: „Johannes Schwartländer nennt fünf Grundbereiche, auf die sich die erklärten Menschenrechte zurückbinden lassen: den Bereich der Lebenserhaltung, ... in den Rechten auf Leben, Selbstverwirklichung... Den Bereich der Kultur und Zivilisation in den Rechten auf Bildung, Hygiene, Lebensqualität... Den Bereich der personalen Lebensgemeinschaften Ehe und Familie im Elternrecht, Kindesrecht, Altersrecht, Krankenrecht...“ Am Ende folgt eine Fußnote, die Schwartländer als Quelle angibt. So weit ließe sich hieran nichts bemängeln, trüge diese Zusammenfassung nicht eben die Handschrift einer anderen Quelle.
Auf Seite 311 sind es ganze Formulierungen
Die Theologen Günter Stachel und Dietmar Mieth fassen in ihrem Aufsatz „Ethisch handeln lernen“ die fünf Grundbereiche ebenfalls zusammen. Sie beginnen mit denselben Worten, die auch Schavan wählt „J. Schwartländer nennt fünf Grundbereiche, auf die sich die erklärten Menschenrechte zurückbinden lassen.“ Ihre Zusammenfassung ist beinahe identisch, bis hin zu den Formulierungen: Selbstverwirklichung, Hygiene, Lebensqualität, Elternrecht, Kindesrecht und Krankenrecht. Diese kommen in der Originalquelle, Schwartländers Aufsatz, jedoch nicht vor. Stachel und Mieth veröffentlichten ihren Aufsatz 1978, zwei Jahre vor Schavans Dissertation. Im Literaturverzeichnis ist der Aufsatz vermerkt, an der hier angeführten Stelle wird er nicht erwähnt.
Der wohl gravierendste Vorwurf der Übernahme bezieht sich auf zwei Seiten gegen Ende der Dissertation. Ab Seite 311 sollen Formulierungen und Argumentationen aus Lutz Hupperschwillers „Die Gewissensanlage und der Prozess der Gewissensbildung“ übernommen worden sein, inklusive der acht zugehörigen Literaturverweise, ohne dies kenntlich zu machen. So schreibt Schavan „dass das Kind bei Überwindung des Ödipus-Komplexes aus Angst vor drohendem Liebesentzug durch den Vater oder die Mutter deren drohende und verbietende Stimme als Über-Ich introjiziert“. In einer Fußnote verweist sie auf Freud. Bei Hupperschwiller liest man: „Bei der Überwindung des Ödipus-Komplexes wird aus Angst vor dem drohenden Liebesentzug durch Vater und Mutter deren drohende und verbietende Stimme vom Kind als Über-Ich introjiziert (Freud 1955, S. 260ff.).“
Aberkennung des Doktortitels
An einer anderen Stelle schreibt Schavan über: „die Vielzahl der Fälle, in denen das Kind die Werte und Normen seiner Eltern verinnerlicht, weil es mit ihnen gefühlsmäßig in positiver Weise verbunden ist und den Wunsch hat, in Harmonie mit ihnen zu leben.“ Die Fußnote verweist als Quelle auf „Roth, Zullinger und Hapke“. Bei Hupperschwiller ist zu lesen: „in einer Vielzahl der Fälle, injiziiert das Kind die Normen und Werte der Eltern nicht aus Angst, sondern aus dem positiven angstfreien Antrieb heraus, in Übereinstimmung mit ihnen zu leben (Roth 1957, 241; Zullinger 1960, 72; Hapke 1962, 115f.).“ Es gibt weitere solche Beispiele.
Viele der 56 mutmaßlichen Plagiate, die „schavanplag“ vorbringt, beziehen sich auf einen Satz oder übernommene Zusammenfassungen aus Sekundärquellen. Ob die Vorwürfe zur Aberkennung des Doktortitels führen, darüber entscheidet die Universität Düsseldorf.