Abhör-Affäre in Sachsen : „Gravierende Grenzüberschreitung“
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Sächsischer Wirtschaftsminister und Vize-Ministerpräsident Martin Dulig (SPD), hier Ende März in Dresden Bild: dpa
Sachsens Verfassungsschutz hat illegal Daten von Abgeordneten gespeichert – darunter auch von Vize-Ministerpräsident Martin Dulig. Der SPD-Politiker reagiert empört.
Das sächsische Landesamt für Verfassungsschutz hat in der Vergangenheit vermeintlich kritische Äußerungen demokratischer Politiker gespeichert, darunter auch von Abgeordneten von SPD und Grünen. Darunter ist auch der sächsische SPD-Vorsitzende Martin Dulig, der Vizeministerpräsident und Wirtschaftsminister in der schwarz-grün-roten Regierung im Freistaat ist. Das geht aus einem Nachbericht der Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK) hervor, den diese am Dienstag veröffentlichte. Demnach notierte und speicherte der Geheimdienst eine Äußerung Duligs über den Koalitionspartner CDU, wonach die Union das Problem des Rechtsextremismus und Rassismus in Sachsen „über 25 Jahre lang verharmlost und relativiert“ habe.
Die Passage stammt aus einer Studie des Göttinger Instituts für Demokratieforschung zu Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit im Osten Deutschlands und ist eine öffentlich zugängliche Quelle auch für den Verfassungsschutz – genauso wie das Facebook-Konto Duligs, das die Behörde offenbar ebenfalls auswertete und teilweise speicherte. Demnach wurden auch zwei Landtagsabgeordnete der Grünen sowie mehrere Abgeordnete der Linken vom Verfassungsschutz aufgrund verschiedener Äußerungen in der Öffentlichkeit erfasst.
Dulig: „Ungeheuerlicher Vorgang“
Dulig reagierte am Dienstag empört. „Das ist ein ungeheuerlicher Vorgang. Mir fehlen dafür die Worte“, sagte der SPD-Politiker dem „Tagesspiegel“. Er habe ein Auskunftsersuchen gestellt und daraufhin sechs Seiten mit Informationen, etwa über Teilnahmen an Demonstrationen und Facebook-Einträge, erhalten. Die Informationen, die über ihn gesammelt wurden, seien überwiegend belanglos – und „eher peinlich für die Agenten“, zitierte die Zeitung den SPD-Landeschef.
Herausgekommen war die Praxis nach Anfragen zahlreicher Abgeordneter, die diese über womöglich über sie gespeicherten Daten an Sachsens Verfassungsschutz gestellt hatten. Die Abgeordneten hatten diese gestellt, nachdem im vergangenen Jahr herausgekommen war, dass der Geheimdienst Datensammlungen zu Abgeordneten der AfD teilweise illegal angelegt hatte. Daraufhin hatte der damalige Präsident des Landesamtes seinen Posten räumen müssen. Unter dessen Ägide waren auch die nun bekannt gewordenen Fälle erfasst worden.
Zwar weist die Behörde in ihren Antworten auf die Auskunftsersuche darauf hin, dass die Sammlungen „nicht im Zusammenhang mit einer gegen Sie gerichteten nachrichtendienstlichen Bearbeitung“ erhoben wurden. Dennoch sei die Erfassung „klar rechtswidrig“ gewesen, erklärte am Dienstag die PKK. „Weder sind die gespeicherten Informationen dazu geeignet, im Rahmen von Prüf- oder Verdachtsfallbearbeitung den Nachweis zu führen, dass sich die betroffene Person einer Bestrebung gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung angeschlossen hat oder für eine fremde Macht geheimdienstlich tätig ist, noch wurden diese Informationen im Rahmen einer Sicherheitsüberprüfung der betroffenen Person erhoben.“
Der Arbeit des Landesamtes stellt die PKK – nicht zum ersten Mal – ein unrühmliches Zeugnis aus. So sei für die Erfassung von Duligs Äußerung auf Facebook „selbst bei kreativer Anstrengung kein Weg denkbar, auf welchem sie von außen an das LfV übersandt“ worden sein könnte. Deshalb bleibe „nur der Schluss, dass sie vom LfV selbst erhoben wurde“. Sachsens Vize-Regierungschef sei somit „Objekt nachrichtendienstlicher Informationsbeschaffung (ohne verdeckte Mittel)“ geworden. Das sei „eine gravierende Grenzüberschreitung“, denn nicht nur die Speicherung, auch die Erhebung der Information sei als rechtswidrig zu bewerten.
Als Konsequenz aus der Affäre habe das LfV dem Bericht zufolge einen Großteil der Daten bereits wieder gelöscht – mit der für die eigene Arbeit bemerkenswerten Begründung, dass diese „nachrichtendienstlich nicht relevant“ seien. Darüber hinaus seien die Abteilungsleiter „über die Anforderungen der Relevanzprüfung belehrt“ worden. Sachsens SPD erklärte am Dienstag, dass der Verfassungsschutz unter seinem früheren Chef „offenbar wahllos erhoben und gespeichert“ habe. Der Wechsel auf dem Posten vor knapp einem Jahr sei deshalb richtig gewesen. Martin Dulig wollte sich im Laufe des Dienstags zu der Affäre äußern.