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Rituelle Beschneidung : Beschneidungsdebatte empört Israel

Rituell: Beschneidungsbesteck in der israelitischen Kultusgemeinde in Hof

Rituell: Beschneidungsbesteck in der israelitischen Kultusgemeinde in Hof Bild: dpa

Peres und Jischai fordern in der Beschneidungsdebatte Rechtssicherheit und ein Machtwort Merkels. Der Zentralrat der Juden in Deutschland kritisiert die Einmischung der israelischen Politiker.

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          Nach dem Brief des israelischen Staatspräsidenten Peres an Bundespräsident Gauck mit der Bitte, sich für das Recht auf rituelle Beschneidung einzusetzen, hat der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, sich zuversichtlich geäußert, dass der Bundestag eine Lösung finden werde, die der jüdischen Gemeinschaft Rechtssicherheit verschaffe. Angesichts weiterer Interventionen aus Israel zur Beschneidungsdebatte in Deutschland fügte er hinzu, für die politische Arbeit in Deutschland sei der Zentralrat der Juden zuständig: „Wir trauen uns zu, aus eigener Kraft eine gute Lösung zu finden.“

          Hans-Christian Rößler
          Politischer Korrespondent für die Iberische Halbinsel und den Maghreb mit Sitz in Madrid.

          In Israel hatte die jüngste Strafanzeige gegen einen Rabbiner in Hof eine Welle der Empörung hervorgerufen. „Die Beschneidung ist ein jüdischer Brauch, der seit Jahrtausenden zentraler Bestandteil der jüdischen Identität unseres Volkes ist und das jüdische Volk auszeichnet, seitdem Gott Abraham dieses Gebot auferlegt hat“, schreibt Peres in seinem Brief an Bundespräsident Gauck. Die Reaktionen deutscher Politiker auf das umstrittene Kölner Urteil bewertete Peres als positiv. Sie ließen die Bereitschaft zu einer Lösung durch ein Gesetz erkennen, das sicherstellen werde, dass Juden ihre religiösen Traditionen in Freiheit leben könnten.

          „In meiner Kindheit habe ich das nie gesehen“

          Zuvor hatte sich der israelische Innenminister Jischai von der ultraorthodoxen Schas-Partei in einem Schreiben an Bundeskanzlerin Merkel (CDU) gewandt. Er forderte sie auf, alles dafür zu tun, damit Juden nicht gezwungen würden, zwischen göttlichen und staatlichen Gesetzen zu wählen, sondern auch in Deutschland so leben könnten, wie es ihre Religion vorschreibe. Jischai wurde wegen seiner Forderung nach einem Machtwort Merkels jedoch vom israelischen Außenministerium kritisiert, mit dem er sich nicht abgesprochen hatte.

          Der Tel Aviver Oberrabbiner Meir Lau zweifelte in einem Rundfunkinterview, dass es in Deutschland eine zufriedenstellende Neuregelung geben werde. Er sei verwundert, wie viel deutsches Mitgefühl ein Kleinkind erhalte, das weine, weil etwas Blut vergossen werde. „In meiner Kindheit habe ich das nie gesehen. Das Blut eines Juden war nichts wert und sein Leben konnte von jedem Gestapo-Stiefel zertrampelt werden“, sagte Lau dem Sender „Kol Barama“ laut israelischen Presseberichten. Der in Polen geborene frühere aschkenasische Oberrabbiner Israels hatte zusammen mit seinem Bruder als Kind das Konzentrationslager Buchenwald überlebt; der Rest seiner Familie wurde ermordet. Juden brauchen nach seiner Ansicht keine deutsche Genehmigung, um entsprechend ihrem Glauben leben zu können. Wenn das so sei, „haben wir keinen Grund, dort zu sein. Vielleicht hat es auch etwas Gutes, und die Juden (in Deutschland) werden feststellen, dass das nicht der Ort ist, an den sie gehören, und dass die jüngsten Ereignisse für sich selbst sprechen“, sagte, Lau, der auch Vorsitzender des Beirats der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem ist.

          Interventionen waren mit dem Zentralrat der Juden nicht abgesprochen

          Der Zentralrat der Juden in Deutschland sieht die Lage mittlerweile gelassener. Graumann lobte Peres’ Brief, nannte aber die Äußerung Jischais obsolet: „Frau Merkel hat bereits ein Machtwort gesprochen.“ Der israelische Oberrabbiner Jona Metzger war am Dienstag nach Berlin gereist und hatte dort den Vorschlag gemacht, jüdische Beschneider zertifizieren zu lassen. Eine Betäubung lehnte er aber ebenso ab wie die Forderung, dass nur Ärzte beschneiden dürften. Graumann tritt ebenfalls für eine Zertifizierung der Beschneider ein, sagte aber zu Metzgers Auftritt und Jischais Brief: „Ein bisschen mehr Respekt vor der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland und ein bisschen mehr Zutrauen zu ihr wären auch gut.“ Die Interventionen aus Israel waren zuvor mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland nicht abgesprochen.

          Nach dem Urteil des Kölner Landgerichts vom 27. Juni, das das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit höher bewertete als die Religionsfreiheit der Eltern, hatte der Bundestag im Juli mit breiter Mehrheit einen Antrag angenommen, wonach die Bundesregierung bis zum Herbst eine gesetzliche Grundlage für religiöse Beschneidungen schaffen soll. Der Deutsche Ethikrat empfahl am Donnerstag nach kontroverser Debatte, die Beschneidung von Jungen unter Schmerzbehandlung und mit Einwilligung der Eltern zu erlauben. Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte äußerte am Freitag Unverständnis für diese Empfehlung.

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