
Raubtier-Risiko in Deutschland : Der Problem-Wolf
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Rasante Vermehrung: Die Zahl der Wolfsrudel ist gestiegen. Bild: dpa
Der Wolf dringt von Osten her immer weiter ins Land vor – und beschäftigt nun auch die Bundespolitik. An einer Bejagung führt kein Weg vorbei. Ein Kommentar.
Wolf reißt Schaf. Wolf nähert sich Joggerin. Wolf durchstreift Innenstadt. Wolf spaziert an Kindergarten vorbei. Die Taktung beunruhigender Nachrichten über Wölfe wird proportional zu ihrem wachsenden Bestand immer enger. Die lange ausgerottete Art dringt von Osten her immer weiter ins Land vor und erobert sich in rasantem Tempo ihre einstigen Lebensräume zurück. Auch die damit einhergehenden Konflikte lassen sich in besonders betroffenen Regionen schon seit mehreren Jahren kaum mehr einhegen. Jäger, Weideviehhalter und Naturschützer geraten unentwegt aneinander.
Das Gebot der Sachlichkeit gerät dabei nicht selten in Vergessenheit. Schon mehrfach sind von Wolfsgegnern Berichte über vermeintliche Angriffe auf den Menschen verbreitet worden, die einer Prüfung nicht standhielten. Die Wolfsfreunde hingegen müssen sich vorwerfen lassen, die Konflikte über Jahre verharmlost zu haben. Wenn man erst erklärt, der Wolf könne das Weiderind gar nicht gerissen haben, weil er keine solch großen Tiere angreife, kurze Zeit später aber ein DNA-Test das Gegenteil beweist, ist das wenig vertrauensbildend.
Sicherheit der Menschen müsse „oberste Priorität“ haben
Das Problem der politischen Debatte über den Wolf ist, dass man sich viel zu lange hinter Paragraphen verschanzt hat. Es mag schon sein, dass für den Umgang mit dem Wolf die FFH-Richtlinie der EU maßgeblich ist und die politischen Mechanismen träge sind. Die Natur nimmt darauf aber keinerlei Rücksicht. Die hohen Reproduktionsraten des Wolfes erhöhen unerbittlich den Problemdruck.
Selbst Bundestag und Bundesregierung sind damit beschäftigt. Union und SPD schlagen in ihrem Koalitionsvertrag deutlich wolfskritischere Töne an als bislang gewohnt. Von einer „notwendigen Bestandsreduktion“ sowie einem Maßnahmenkatalog zur „letalen Entnahme“, also der Tötung, ist die Rede. Die Sicherheit der Menschen müsse „oberste Priorität“ haben. Die große Koalition erkennt damit an, dass die entscheidende Währung in der Debatte die Akzeptanz der Bevölkerung sein wird. Was weiterhin fehlt, ist ein Konzept zum langfristigen Umgang mit dem Wolf, das nicht wie bisher der Lage hinterherhinkt, sondern die in wenigen Jahren bevorstehende Situation in den Blick nimmt. Die Zahl der Wölfe wird sich weiter stark erhöhen, und die Art wird ein Habitat nach dem anderen für sich in Beschlag nehmen.
Die Vorstellung mancher Wolfsfreunde, der Bestand der Wölfe werde sich „wie in der Natur“ von selbst regeln, dürfte sich spätestens dann als naiv erweisen. Denn der Wolf kehrt nicht in die Naturlandschaft der Wälder Germaniens zurück, sondern in eine von Menschen gestaltete Kulturlandschaft.
Naturromantiker mögen mit dieser Grundeinsicht bis heute Probleme haben – der Wolf hat sie definitiv nicht. Er ist anpassungsfähig und intelligent genug, den reichgedeckten Tisch zu erkennen, den seine neue Umgebung für ihn bereithält: gestern ein Rehbock aus dem Fichtenwald, heute ein saftiges Lamm von der grünen Au, morgen Pasta mista aus der Mülltonne. Auf eine natürliche Scheu des Wolfes, bei der Nahrungssuche auch menschliche Siedlungen zu betreten, sollte man nicht vertrauen. Die wichtigste Aufgabe besteht deshalb darin, die Wölfe durch Vergrämung oder notfalls auch Abschuss wieder darauf zu konditionieren, besser nicht in die Nähe des Menschen zu kommen.
Auch um eine aktive Bestandsregulierung wird man kaum herumkommen. Die Gesamtzahl der Wölfe ist dabei ebenso zu regeln wie die Frage, in welchen Regionen sie leben dürfen und wo nicht. Größere Schutzzonen, dünner besiedeltes Gebiet und waldreiche Mittelgebirgslandschaften kommen für eine Koexistenz von Wolf und Mensch eher in Frage als Ballungsräume. Auch die Almwirtschaft in den Alpen dürfte mit Wölfen unvereinbar sein. Gleiches gilt für die Nordseeküste, wo aus Gründen des Küstenschutzes eine Beweidung der Deiche durch Schafe nötig ist.
Selbst energische Fürsprecher geben zu, schon jetzt bestehe das Risiko, dass ein Wolf einen Menschen angreife und töte. Wenn das geschehen sollte, dürfte eine Diskussion über die Frage entbrennen, ob die Rückkehr der Wölfe nach Deutschland ganz hätte verhindert werden müssen. Überstehen wird das Experiment Wolf eine solche Debatte nur, wenn die Politik weder im Namen der Naivlinge noch mit Schießparolen auf Stimmenfang geht.
Nur dann lässt sich vermitteln, dass es nach wie vor wahrscheinlicher ist, Opfer eines bissigen Hundes zu werden als Opfer eines Raubtiers. Die Rückkehr einer heimischen Art wie des Wolfs ist schließlich, bei aller Abwägung und Abwehr der Gefahren, ein Gebot des Artenschutzes. Deutschland kann sich schlecht für Nashörner in Afrika einsetzen oder für bedrohte Arten im Amazonasgebiet, wenn es selbst nicht einmal mit einigen hundert Wölfen zu Rande kommt.