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Richtungsentscheidung : Das Dilemma der AfD

  • -Aktualisiert am

Die Fraktionsvorsitzenden der AfD im Deutschen Bundestag: Alice Weidel und Alexander Gauland. Bild: dpa

Tun AfD-Politiker nichts, droht die Partei an ihrer Nähe zum Extremismus zu scheitern. Für eine Mäßigung hingegen müssen sie das Versprechen brechen, die Wähler von politischer Korrektheit zu befreien. Einen Mittelweg gibt es nicht.

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          Wer es böse mit der AfD meint, könnte ihr wünschen, in den Extremismus abzudriften. Dort, im Sumpf, erwarten sie eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz und ein Verlust all jener, denen ihr Leumund etwas wert ist. Sie würde entweder unter der Fünfprozenthürde dümpeln, oder weite Teile des Bürgertums würden – wenig wahrscheinlich – den Schritt in den Extremismus mitgehen, und die Republik wäre verloren. Folglich müsste, wer es gut mit der AfD (und dem Land) meint, der Partei eine bürgerliche Mäßigung wünschen, eine Rückkehr in ihr inneres Oberursel, wo sie einst als wutbürgerlicher Professorenverein gegründet wurde. Wie die Dinge liegen, hat die AfD nur diese Wahl, es gibt keinen Mittelweg. Extremisten können Gemäßigte aus taktischen Gründen tolerieren, umgekehrt geht das nicht. Ein Gemäßigter, der Extremisten toleriert, ist kein Gemäßigter mehr, er bezahlt dafür mit seiner Glaubwürdigkeit.

          Entsprechend vergiftet ist das Argument von Rechtsradikalen wie Björn Höcke, die stets betonen, für einen innerparteilichen Pluralismus einzutreten und Andersdenkende nicht verdrängen zu wollen. Das muss Höcke auch nicht, seine Duldung ist sein Sieg. Ebenso erklärt es, warum Gemäßigte wie die Vereinigung „Alternative Mitte“ nur verlieren, je länger sie zahnlos einen Ausschluss von Höcke fordern. Mit ihrem dürren Stimmchen liefern sie gerade den Beweis, warum die „Alternative“ nicht mehrheitlich in der „Mitte“ steht.

          Aber auch der Weg der Mäßigung birgt ein großes Risiko. Auch an ihm kann die Partei zerbrechen, übrigens aus dem gleichen Grund: Es gibt keinen Mittelweg. Wenn etwa die Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Alice Weidel, den Parteiausschluss des antisemitischen baden-württembergischen Abgeordneten Wolfgang Gedeon fordert, klingt das zunächst nicht nach einem Risiko. Ist es aber. In der AfD-Landtagsfraktion gibt es einen Abgeordneten namens Stefan Räpple, der sagt, er teile Gedeons Ansichten vollkommen. Kann Weidel auf dessen Ausschluss verzichten, ohne ihre Glaubwürdigkeit zu verlieren? Natürlich nicht. So sind es schon zwei. Dann sagt Gedeon selbst, er habe in der Landtagsfraktion weitere Unterstützer. Was ist mit denen? Die Kreise werden weiter. Und was ist, wenn nach langem Hin und Her dann doch keiner von ihnen ausgeschlossen wird?

          Ihre Anhänger sind ein Problem der AfD

          Solche Dominoeffekte sind der Grund, warum viele AfD-Politiker intern ungern über Richtungsfragen reden. Sie führen taktische Argumente an, warum Extremismus ein realpolitisches, nicht ein moralisches Risiko ist. Nun zwingen die Umstände sie aber in eine moralische Haltung, die schon von dem früheren Parteivorsitzenden Bernd Lucke erprobt wurde. Der wollte alle Radikalen, ihre Helfer und Helfershelfer verdrängen und musste irgendwann einsehen, dass das mindestens die halbe Partei umfasste – und am Ende er selbst verdrängt wird.

          Das zweite Problem der AfD sind ihre Anhänger. Sie wählen die Partei auch dann, wenn es genügend Gründe gibt, dies nicht zu tun. Als 2017 im Saarland gewählt wurde, hatte der AfD-Bundesvorstand den saarländischen Landesvorstand aufgefordert, nicht an der Wahl teilzunehmen, aufgrund von „erheblichen Zweifeln an der Integrität“ der Kandidaten. Es ging um die Nähe zu Rechtsextremen. Die Wähler kümmerte das nicht. Sie hievten die AfD mit 6,2 Prozent über die Fünfprozenthürde. Die AfD wird folglich auch dann gewählt, wenn selbst die AfD dringend davon abrät.

          Es gibt viele Deutungen, warum das so ist. Von Demoskopen belegt ist die Erkenntnis, dass AfD-Wähler von der Partei nicht erwarten, die Probleme im Land zu lösen. Manche sehen darin das Strafbedürfnis einer abgehängten Klasse, die sich am Establishment für ihre Benachteiligung rächt. Die angebliche Benachteiligung ist freilich längst widerlegt. AfD-Anhänger haben zwar subjektive Geldsorgen, weil sie Pessimisten sind, sie leiden aber nicht wirklich unter Geldmangel.

          Vorurteile sind erlaubt – nur nicht über AfD-Anhänger

          In Wirklichkeit macht die AfD ihren Wählern ein ganz anderes, kostenloses Geschenk: Wer AfD wählt, wählt das Versprechen, von moralischen Zwängen der sogenannten politischen Korrektheit befreit zu sein. Das ist ihre vorpolitische Energie, erst danach entsteht daraus ein Weltbild. Gruppenbezogene Vorurteile sind in der AfD grundsätzlich erlaubt, solange es um Muslime, Asylbewerber, Linke, Berufspolitiker und Journalisten geht. Einzige Ausnahme: Vorurteile über AfD-Anhänger. Da wird von Parteifunktionären eine übergenaue Betrachtung angemahnt.

          Unsere Gesellschaft hat engmaschige Normen, Affektkontrolle ist für viele Menschen ein täglicher Kampf. Niemand sollte unterschätzen, welchen Rausch es bedeutet, seinen Ressentiments freien Lauf lassen zu dürfen. Entsprechend aussichtslos ist es, auf AfD-Wähler einzureden, sie sollten aus moralischen Gründen auf die Befreiung von ebensolchen Zwängen verzichten. Der Effekt ist gleich null. Wenn AfD-Politiker nun gezwungen sind, moralischen Zwang anzuwenden, um ihre Partei vor dem Extremismus zu bewahren, brechen sie ein zentrales Versprechen. Sie könnten deshalb versucht sein, nichts zu tun. Aber dann driftet die AfD eben weiter ab.

          Justus Bender
          Redakteur in der Politik der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

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