Rentenstreit : Die strahlende Ministerin
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Tonangebend: Arbeitsministerin Ursula von der Leyen Bild: dapd
In der Rentendebatte gibt Ursula von der Leyen den Ton an. Nebenbei hat sie eine Debatte über Mindestlöhne angefacht, die sie befürwortet. Die FDP wird an den Rand gedrängt - auch das kommt der Arbeitsministerin gelegen.
Mit guten Gründen hat Ursula von der Leyen mit strahlendem Blick zu Wochenbeginn die Sitzung des CDU-Präsidiums verlassen. Mögen Kanzlerin und Kanzleramtsminister über das - dieses Mal in Sachen Rente - rabiate Vorgehen der Arbeitsministerin „getobt“ haben. Mag der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Kauder es im Ungewissen gelassen haben, ob Frau von der Leyen noch sein politisches Vertrauen genieße. Mögen sich die Abgeordneten der „Jungen Gruppe“ und der ganze Wirtschaftsflügel ihrer Partei von ihrem Vorhaben einer Zuschussrente distanziert haben. Es ist sogar wahrscheinlich, dass die Arbeitsministerin scheitert, ihren Wunsch noch vor der Bundestagswahl im Wege der Gesetzgebung in die Tat umzusetzen. Als stellvertretende CDU-Vorsitzende aber hat Frau von der Leyen das Thema auf die Tagesordnung der Politik gesetzt. Die Führungen von CDU, CSU, SPD, FDP und Grünen waren gezwungen, sich der Debatte zu stellen. Nach den Maßstäben politischer Kommunikation war das für Frau von der Leyen ein voller Erfolg: Viel Feind, viel Ehr.
Der fachpolitische Kern der Debatte („Zuschussrente“) ist dabei noch der am wenigsten wichtige. Immerhin konnte Frau von der Leyen registrieren, dass sie hierin sogar die Unterstützung der Regierungsspitze hatte: Frau Merkel und Kanzleramtschef Pofalla hatten ihr in der Sommerpause zwischenzeitlich geraten, diesen Wunsch an einen Gesetzentwurf zur Senkung der Rentenversicherungsbeiträge anzuhängen. Das scheiterte an der FDP. Indem Frau von der Leyen anschließend auf mögliche Entwicklungen der Rentenzahlungen im Jahr 2030 („Rentenschock“) aufmerksam machte und damit die Debatte anheizte, legte sie auch schonungslos Schwächen der Koordinierungstätigkeit offen - in der Regierungszentrale und in der Führung der Koalition. Die Unions-Fraktion war nicht eingeweiht. Nicht nur die Arbeitsministerin, sondern auch das Kanzleramt hatte zurückzurudern - es sei denn, es wäre von vorneherein beabsichtigt gewesen, das ehrgeizige Kabinettsmitglied ins offene Messer laufen zu lassen.
Der zur Dämpfung der Gemüter von Frau Merkel erdachte Ausweg, die Zukunft der Rentenentwicklung sei dermaßen komplex, dass es nicht reiche, allein über die „Zuschussrente“ zu reden, hat die Debatte um eine Fülle weiterer Gegenstände erweitert - und damit den Vorstellungen der Ministerin in die Hände gespielt. Zunächst innerparteilich: das Betreuungsgeld. Vor allem die CDU-Frauenunion und alle sonstigen Kritiker des immer noch brach liegenden Betreuungsgeldvorhabens bestehen darauf, in diesem Zusammenhang die rententechnische Anrechnung von Erziehungszeiten auf Kinder zu erweitern, die vor 1992 geboren sind. Frau von der Leyen gehört zu diesen Skeptikerinnen.
Bedeutsamer ist es, dass im Zuge der Debatte die Führung der Union sich eines alten Grundsatzes erinnerte: Rentenpolitik solle im Konsens zwischen den großen Parteien betrieben werden. In Kohls Zeiten war das so. Die entscheidenden Vorarbeiten wurden in Verhandlungen zwischen Arbeitsminister Norbert Blüm (CDU) und dem SPD-Fachmann Rudolf Dreßler geleistet. Zum Ende der Kohl-Zeit wurde das Konsens-Prinzip, bei der Einführung des das Rentenniveau senkenden „demographischen Faktors“, erst von der CDU und später dann bei der Abschaffung des Faktors in der Zeit des Kanzlers Schröder von SPD und Grünen aufgegeben.
Sie hat die Debatte über Mindestlöhne angefacht
Nun erinnerte sich auch Kauder, einst selbst ein Rentenfachmann, der guten alten Zeiten. Zwar versicherte er, zunächst müsse man in der Union und dann auch mit der FDP Einvernehmen herstellen, und erst danach sei mit der SPD zu sprechen. Frau von der Leyen akzeptierte das. Von nun an aber wird die Union den zentralen Teil ihrer Sozialpolitik nicht mehr nur mit Hilfe der Freien Demokraten durchzusetzen versuchen. Das ist ganz im Sinne der Arbeitsministerin. Ihr Konzept der 850-Euro-Zuschussrente ist der 850-Euro-Solidarrente der SPD verwandt. Nicht ganz nebenbei aber hat Frau von der Leyen auf die Folgen der verbreiteten Niedriglöhne für spätere Rentenerwartungen aufmerksam gemacht. Debatten über Mindestlöhne werden damit angefacht. Frau von der Leyen gehört zu deren Befürworterinnen.
Und wen würde es wundern, wenn in diesem Zusammenhang dann auch noch die Beamtenpensionen und der alte Wunsch der Sozialdemokraten ins Spiel kämen, auch Selbständige und Freiberufler müssten Beiträge zur Rentenversicherung leisten? Nicht bloß Ursula von der Leyen hat die Debatte eröffnet, sondern in ihrem Gefolge auch Angela Merkel.
Es versteht sich, dass die FDP alarmiert ist. Zwar wird sich die Bundeskanzlerin an das Grundprinzip der Koalition halten: keine wechselnden Mehrheiten, keine Zusammenarbeit mit der Opposition am kleineren Koalitionspartner vorbei. Doch drängt die Führung der Union mit ihrer Strategie die FDP an den Rand. CDU, CSU, SPD und Grüne gegen die Liberalen. Womöglich hilft das der siechen FDP wieder auf die Beine und in den Bundestag. Ihren tatsächlichen Einfluss mehrt es nicht. Auch das ist im Sinne Frau von der Leyens.