Reform der Organspende : Kirchen warnen vor der Widerspruchslösung
- -Aktualisiert am
Die Organspende soll gesetzlich neu geregelt werden Bild: obs
Die jüngsten Zahlen zur Organspende fachen die Debatte um die Einführung der Widerspruchslösung an. Bevor der Bundestag am Donnerstag entscheidet, bringen sich Befürworter und Gegner in Stellung - vor allem die christlichen Kirchen machen deutlich, wo sie stehen.
Der Zeitpunkt hätte besser nicht sein können: Am Donnerstag will der Bundestag in einer offenen Abstimmung über eine mögliche Reform der Organspende entscheiden. Am Montag präsentierte die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) neue Zahlen zur Organspende in Deutschland – und ihr Vorstandsmitglied Axel Rahmel nutzte den Anlass, die leicht zurückgegangenen Spenderzahlen zu verkünden, sogleich für eine Stellungnahme in der politischen Debatte.
„Jetzt haben wir die Chance, mit einer verbindlicheren Gesetzgebung, die uns aktiv in die Verantwortung setzt, positive Veränderungen zu bewirken“, sagte Rahmel und stellte sich damit auf die Seite von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), der für die Widerspruchslösung eintritt. Die Stiftung teilte zwar mit, sie begrüße beide Gesetzesentwürfe. Das „Potential für eine positive Entwicklung“ sehe sie aber klar bei der Widerspruchslösung. Diese binde die Angehörigen gezielt ein, um den Patientenwillen festzustellen. Ein eigener Entscheidungsspielraum steht Angehörigen bei der Widerspruchsregelung nicht mehr zu, anders als es derzeit der Fall ist. Die DSO argumentiert, dies belaste derzeit die Familien von möglichen Organspendern. Eine schriftliche Willensbekundung liege derzeit nur bei 15 Prozent der möglichen Spender vor; in rund 40 Prozent der Fälle entscheiden die Angehörigen nach dem mutmaßlichen Willen des Verstorbenen und in rund 19 Prozent nach ihren eigenen Wertvorstellungen.
Kirchenvertreter nahmen die Debatte zum Anlass, um sich am Montag abermals klar gegen den Vorstoß des Gesundheitsministers zu positionieren. Der leitende Theologe der Evangelischen Kirche im Rheinland, Präses Manfred Rekowski, sprach sich dafür aus, die gegenwärtige Regelung beizubehalten. „Die beste Option scheint immer noch die bestehende Zustimmungslösung zu sein, dass Menschen sich selbst entscheiden und im positiven Fall die Bereitschaft zur Organspende zweifelsfrei dokumentieren“, sagte Rekowski am Montag vor der rheinischen Landessynode in Bad Neuenahr.
Derzeit ist eine Organentnahme nur möglich, wenn der Verstorbene dem zu Lebzeiten zugestimmt hat; alternativ können die Angehörigen entscheiden. Das wollen Spahn und seine Mitstreiter mit der Widerspruchslösung ändern. Eine zweite Gruppe um die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock möchte die gegenwärtige Entscheidungs- oder Zustimmungslösung grundsätzlich beibehalten. Die Bürger sollen aber regelmäßig auf das Thema Organspende angesprochen werden, zum Beispiel vom Hausarzt oder wenn sie ihren Personalausweis verlängern.
„Die Widerspruchslösung sehen wir als ethisch, rechtlich und seelsorglich hoch problematisch an“, erklärten ebenfalls am Montag der evangelische Kirchenpräsident der Pfalz, Christian Schad, und der katholische Speyerer Bischof Karl-Heinz Wiesemann. Notwendige Bedingung für eine Organspende ist aus ihrer Sicht eine „informierte und explizit erteilte Einwilligung“. Diese Entscheidung nur durch eine „vermutete Zustimmung“ zu ersetzen, sei nicht verantwortbar, sagten Schad und Wiesemann.
Einige Gegner der Widerspruchsreglung vertreten die Auffassung, dass eine Abkehr von der gegenwärtigen Entscheidungslösung nicht zu mehr Organspenden führen werde. Um ihre Zahl zu erhöhen, sei es vielmehr erforderlich, die Arbeitsbedingungen in den Krankenhäusern zu verbessern, da etliche potentielle Spender von den Ärzten nicht als solche erkannt würden. Im Frühjahr des vergangenen Jahres ist bereits ein Gesetz aus der Feder von Jens Spahn in Kraft getreten, das den Kliniken mehr Geld und Personal für die Organspende zur Verfügung stellen soll. Kritiker der Widerspruchslösung wie die früheren Gesundheitsminister Ulla Schmidt (SPD) und Hermann Gröhe (CDU) plädieren daher dafür, die Wirkung dieses Gesetzes abzuwarten. Nach Auskunft der DSO haben sich die deutschen Kliniken im vergangenen Jahr in mehr als 3000 Fällen an die Stiftung gewendet, um einen möglichen Organspender zu melden. Das entspricht einem Anstieg von etwa sieben Prozent gegenüber dem Vorjahr. Damals gab es etwa 2800 Meldungen.
9000 Menschen auf der Warteliste
Die DSO geht davon aus, dass einerseits die öffentliche Diskussion um das Thema dazu beitrage, das Bewusstsein für Organspende in den Kliniken zu verbessern. Zudem seien die gestiegenen Zahlen eine erste Folge der Krankenhausreform vom vergangenen Jahr. „Die Herausforderung liegt nun in der weiteren Übertragung der Maßnahmen in den Klinikalltag der 1300 Entnahmekrankenhäuser“, sagte DSO-Vorstandsmitglied Axel Rahmel. „Wir hoffen, dass mit den zunehmenden Kontaktaufnahmen mittelfristig auch die Zahl der Organspenden steigt.“
Die Zahl der Organspender ist im vergangenen Jahr leicht zurückgegangen. Wie die DSO mitteilte, haben 2019 bundesweit 932 Personen nach ihrem Tod eines oder mehrere Organe gespendet; 2018 waren es noch 955 Spender. Im vergangenen Jahr konnte die DSO insgesamt knapp 3000 Organe an die internationale Vermittlungsstelle Eurotransplant übergeben; jeder Spender hat im Durchschnitt mehr als drei Patienten eine neue Lebenschance ermöglicht. „Jedes einzelne Organ zählt und kann über Leben und Tod eines schwerkranken Menschen entscheiden“, sagte Axel Rahmel. Allerdings liegt Deutschland mit 11,2 Spendern pro eine Million Einwohner im internationalen Vergleich nach wie vor weit hinten. Zum Jahresende waren mehr als 9000 Menschen in Deutschland auf einer Warteliste für eine Transplantation registriert.