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Neonazi-Hilfe in Gefängnissen : Netzwerk Rechtsextremer suchte Kontakt zu Zschäpe

  • Aktualisiert am

Hinter Gefängnismauern: Ein im Geheimen operierendes Neonazi-Netzwerk mit Kontakten zum NSU ist aufgeflogen. Bild: ZB

Ein Netzwerk Rechtsextremer in Gefängnissen hat nach Angaben des hessischen Justizministers Hahn auch den Kontakt zur NSU-Angeklagten Beate Zschäpe gesucht. Im Zentrum der Ermittlungen steht ein in Hünfeld inhaftierter Neonazi.

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          Das in Hessen aufgedeckte Netzwerk rechtsextremer Straftäter hat auch die mutmaßliche Terroristin des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) Beate Zschäpe als Mitglied anwerben wollen. Der hessische Justizminister Jörg-Uwe Hahn (FDP) sagte am Dienstag im Rechtsausschuss des Landtags, dass bei der Durchsuchung der Zelle des als Rechtsextremisten bekannten Insassen Bernd T. in der Justizvollzugsanstalt Hünfeld eine Liste mit Haftanstalten in anderen Bundesländern und dort einsitzenden Personen mit rechtsextremen Hintergrund gefunden worden sei.

          Unter diesen Personen, die von T. Briefe mit der Bitte um Mitgliedschaft in dem Netzwerk erhielten, befand sich auch die damals in der Justizvollzugsanstalt Köln einsitzende Beate Zschäpe. „Wir gehen davon aus, dass der Brief auch bei Frau Zschäpe angekommen ist“, sagte ein Sprecher Hahns der F.A.Z..

          Einer der Anwälte von Frau Zschäpe, Wolfgang Stahl, dementierte gegenüber der F.A.Z. einen Kontakt seiner Mandantin zu dem rechtsextremen Netzwerk: „Wir können ausschließen, dass es Kontakte eines Rechtsextremisten-Netzwerkes zu Beate Zschäpe gibt.“ Ob es jedoch Versuche einer Kontaktaufnahme gegeben habe, könne man nicht ausschließen. Allerdings lägen ihnen darüber zur Zeit keine Erkenntnisse vor.

          Brief auch an Wohlleben

          Einen Brief hat T. nach Angaben der hessischen Justiz auch an den mutmaßlichen Hauptunterstützer der rechtsextremen Terrorzelle NSU, Ralf Wohlleben, geschickt. Wie Frau Zschäpe sitzt der frühere NPD-Funktionär derzeit in der Justizvollzugsanstalt München-Stadelheim in Untersuchungshaft, wo beide auf ihren am 17. April beginnenden Prozess warten.

          Die Liste der von T. kontaktierten Personen umfasst mehr als ein Dutzend Insassen in den Justizvollzugsanstalten Kassel1, Fulda, Tonna, Gera, Stuttgart, Aachen, Meppen, Vechta, Diez, Stralsund, Köln und Lübeck. T. und zwei weiteren Beschuldigten, gegen die die Staatsanwaltschaft Frankfurt ermittelt, wird vorgeworfen, einen bundesweit operierenden Verein zur finanziellen Unterstützung von inhaftierten Rechtsextremen und deren Familie gegründet zu haben. Ein weiteres Ziel des Vereins mit dem Decknamen „AD jail crew“ soll die ideologische Festigung von Inhaftierten mit nationalsozialistischem Gedankengut gewesen sei.

          Auf BKA-Liste mit Bezügen zur NSU

          T. sitzt in Hünfeld noch bis Ende November 2013 eine zweijährige Haftstrafe wegen Beleidigung, Sachbeschädigung, Körperverletzung und Betrug ab. Als Rechtsextremist auffällig wurde der 1974 geborene T. unter anderem durch die Gründung des rechtsradikalen Internetportals „Sturm 18“. Der Name von T. findet sich nach Informationen der F.A.Z. auch auf der „129er-Liste“ des Bundeskriminalamtes, in der alle Personen aus der rechtsextremen Szene mit Bezügen zum NSU aufgelistet sind.

          Noch Ende November 2012 hatten die hessischen Justizbehörden und Minister Hahn offiziell keinerlei Hinweise auf die Bildung neonazistischer Strukturen in Vollzugsanstalten. In der Antwort Hahns auf eine Große Anfrage der Fraktion der Linkspartei heißt es unter anderem: „In keiner hessischen Justizvollzugsanstalt liegen Erkenntnisse über Versuche von Neonazis und Neofaschisten vor, sich innerhalb der Justizvollzugsanstalt zu organisieren.“

          Das Bundeskriminalamt veröffentlichte dieses Bild der mutmaßlichen NSU-Terroristin Beate Zschäpe im November 2011
          Das Bundeskriminalamt veröffentlichte dieses Bild der mutmaßlichen NSU-Terroristin Beate Zschäpe im November 2011 : Bild: dpa

          Aufgeschreckt wurden die hessischen Sicherheits- und Justizbehörden offenbar erst durch die Anfrage der Linkspartei, die entsprechende Hinweise hatten. Ermittlungen zunächst der Staatsanwaltschaft Fulda wurden erst Anfang Februar aufgenommen. Anfang März übernahm die Staatsanwaltschaft Frankfurt die Ermittlungen wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung und der Gründung einer Ersatzorganisation einer verbotenen Organisation. Damit ist die 2011 von Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) verbotene „Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige“ (HNG) gemeint.

          Verdächtige Kleinanzeige in Zeitschrift „Biker News“

          Übersehen oder als unverdächtig eingestuft hatten die Justizbehörden eine Anzeige in der Motorradzeitschrift „Biker News“, die T. dort im Oktober 2012 geschaltet hatte. In dem Anzeigentext unter der Überschrift „AD Jail Crew (14er)“ rief T. mit nur leicht verschlüsselten nationalsozialistischen Symbolen mögliche Interessenten dazu auf, dem angeblich „am 20.4. 2012 in der JVA Hünfeld“ gegründeten Verein beizutreten. Der 20. April ist der Geburtstag Adolf Hitlers. Mitglied könne „jeder Bruder/Schwester werden, die für Loyalität, Kameradschaft und die ,Alten‘ Werte einsteht“.

          Als Konsequenz aus der Aufdeckung des Neonazi-Netzwerks sollen hessische Justizvollzugsbeamte nun in Zusammenarbeit mit dem Landesamt für Verfassungsschutz geschult werden, um solche versteckten „Codes“ und NS-Symbole besser zu erkennen und zu deuten. Wertvolle Hinweise und Aussagen erhielten die Ermittler dem Vernehmen nach inzwischen auch von einem der beiden Mitbeschuldigten von T., der als Kopf der Gruppierung gilt.

          Dem NSU werden Morde an neun Menschen mit türkischem und  griechischem Migrationshintergrund und einer deutschen Polizistin  zur Last gelegt. In der kommenden Woche beginnt in München der  Prozess gegen das mutmaßliche NSU-Mitglied Beate Zschäpe und vier  mutmaßliche Unterstützer der rechtsextremen Terrorgruppe.

          Wohl kein Schweizer NSU-Prozess

          Die Schweizer Strafverfolgungsbehörden dürften ihre Ermittlungen im Zusammenhang mit den Neonazi-Morden in Deutschland bald einstellen. Wie die Zeitung „Tages-Anzeiger“ in Zürich am Mittwoch unter Berufung auf die Kantonspolizei Bern und „Kenner des Falles“ meldete, betrifft die Einstellungsverfügung die beiden Schweizer, die unter dem Verdacht stehen, die Pistole der Marke Ceska 83 beschafft zu haben, mit der der „Nationalsozialistische Untergrund“ (NSU) neun seiner zehn Mord begangen haben soll.

          Gegen einen der Männer werde das Verfahren demnächst beendet, gegen den anderen voraussichtlich in den nächsten Monaten, schreibt die Zeitung. Für eine Tatbeteiligung der beiden Männer gebe es zwar Indizien, aber trotz umfangreicher Ermittlungen konnten keine Beweise zu Tage gefördert werden, zitiert die Zeitung aus einem Polizeibericht. Die beiden Männer sollen jetzt Anfang Juli vor dem Oberlandesgericht München in dem NSU-Prozess gegen Beate Zschäpe als Zeugen aussagen. (du.)

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