Mord an Michèle Kiesewetter : Von Phantomen und falschen Theorien
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Michèle Kiesewetter lebte in unmittelbarer Nähe zu diesem Gasthof - einem Treffpunkt von Neonazis Bild: dapd
Nach dem Tod der Polizistin Michèle Kiesewetter wurde in viele Richtungen ermittelt. Ihre Berührungspunkte mit Rechtsextremisten in der Heimat wurden dabei nicht erkannt.
Der frühere Chef der Sonderkommission zur Aufklärung des Mordes an Michèle Kiesewetter, Frank Huber, ist ein vorsichtiger Beamter. Doch in einer Frage hatte er sich Anfang 2009 festgelegt: „Fast alles ist möglich, außer einer Beziehungstat.“ Als Huber das sagte, lag der Mord an der aus Thüringen stammenden und bei der Bereitschaftspolizei Böblingen ausgebildeten Polizeimeisterin schon zwei Jahre zurück.
An einem sonnigen Tag, dem 25. April 2007, fielen auf der Heilbronner Theresienwiese mehrere Schüsse. Michèle Kiesewetter ist sofort tot, ihr Kollege Martin A. ist schwer verletzt. Frank Huber übernimmt die Leitung der Sonderkommission „Parkplatz“. Eigentlich gehört die Ausleuchtung des Milieus, aus dem das Opfer stammt, zur Ermittlerroutine.
Der baden-württembergische Verfassungsschutz überprüfte auf Eigeninitiative, ob die Getötete Verbindungen zu Extremisten hatte. Das Ergebnis der Recherchen war negativ. Die Sonderkommission leuchtete das Umfeld der getöteten Kollegin nur unzureichend aus: Denn auch wenn die baden-württembergische Polizei von einer „Beziehungstat“ nicht sprechen will, so ist nach der Sitzung des Innenausschusses des Bundestages am Montag deutlich geworden, dass die Polizistin für einige Jahre in unmittelbarer Nähe zu einem Thüringer Gasthof lebte, in dem sich Neonazis aus dem Umfeld der rechtsextremistischen Organisation „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) regelmäßig aufhielten.
Eigentlich Ermittlerroutine
Welcher Art die persönlichen Kontakte waren, die es zwischen der viel jüngeren Polizistin und den Rechtsextremisten gab, ist Gegenstand der Ermittlungen. „Unsere Ermittlungsbehörden haben bisher keine gesicherten Erkenntnisse über eine Beziehungstat. Es dient der Aufklärung nicht und belastet die Angehörigen, wenn Spekulationen oder Halbwissen verbreitet werden. Die Ermittler sollten in Ruhe ihre Arbeit erledigen können, um ein Gesamtbild des Falles zu erstellen. Danach kann dann über Konsequenzen geredet werden“, sagte der baden-württembergische Innenminister Gall (SPD) der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
Nach Darstellung des Innenministeriums gibt es derzeit keine Hinweise, dass der Stiefvater der getöteten Polizistin in seiner Gaststätte Rechtsextremisten beherbergt hat, wie in einigen Medienberichten behauptet worden war. Die Aussage des Präsidenten des baden-württembergischen Landeskriminalamtes, Dieter Schneider, von Donnerstag vergangener Woche, dürfte dennoch überholt sein. Schneider hatte einen Zusammenhang zwischen der Herkunft der aus dem thüringischen Oberweißbach stammenden Polizistin und der dort gastierenden Neonazi-Szene kategorisch bestritten: „Dafür gibt es keine Anhaltspunkte. Es mag solche Zufälle geben.“
Im Südwesten gelang wenig
Betrachtet man die Ermittlungsarbeit seit der Ermordung der Polizistin rückblickend, dann gelang der Polizei im Südwesten wenig. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass der Ermittlungseifer bei Polizisten immer dann besonders groß ist, wenn die Opfer Kollegen sind. Bei der Fahndung nach den Mördern von Michèle Kiesewetter folgten die Fahnder unterschiedlichen Theorien: Als „Ritualmord“ der Organisierten Kriminalität ist die Tat gedeutet worden. Im Milieu der Schausteller ist gefahndet worden, weil zur Tatzeit auf der Heilbronner Theresienwiese gerade Buden für das Maifest aufgebaut wurden. Dann jagte der damalige Leiter der Sonderkommission, Huber, über zwei Jahre das „Phantom“, eine „unbekannte weibliche Person“, kurz „UwP“.
Schließlich stellte sich im März 2009 heraus, dass die Ermittler verunreinigte Wattestäbchen zur Entnahme der DNA-Proben benutzt hatten - die „UwP“ wurde gefunden werden, es handelte sich um eine Arbeiterin einer bayerischen Fabrik. Sie hatte die Wattestäbchen verpackt und verunreinigt. Erste Hinweise auf einen Fahndungsfehler gab es schon Ende 2008, doch erst als im März 2009 ein österreichischer Kriminalbeamter mitteilte, er beziehe die Wattestäbchen vom gleichen Hersteller wie seine deutschen Kollegen, brach die Theorie der Fahnder in sich zusammen.
Keinesfalls ein „Zufallsopfer“
Der damalige Innenminister Rech (CDU) befürwortete zwar, die Belohnung zu erhöhen, die mangelnden Ermittlungsfortschritte hatten aber erst spät Konsequenzen. Erst im Februar 2009 zog das LKA in Stuttgart die Ermittlungen an sich. Ein möglicher rechtsterroristischer Hintergrund spielte bei den Fahndern noch immer keine herausgehobene Rolle.
Frank Huber musste die Leitung der Sonderkommission erst im Oktober 2009 abgeben. Schließlich war er es, der seine Kollegen über zwei Jahre lang mit einer zum Schluss absurden Tattheorie beschäftigt hatte. Ungeklärt ist bis heute, warum den Fahndern das Wohnmobil, das der Helfer des Terror-Trios Holger G. gemietet hatte, nicht aufgefallen ist. Nach allem, was seit Montag bekannt ist, war Michèle Kiesewetter keinesfalls ein „Zufallsopfer“.
Die baden-württembergische Polizei muss sich fragen lassen, warum sie über das Leben der Polizistin so wenig wusste. Und der stellvertretende Ministerpräsident Nils Schmid (SPD) bekam am Dienstag schon die Frage gestellt, ob der SPD-Innenminister in seiner kurzen Amtszeit den richtigen Mann zum LKA-Präsidenten gemacht habe.