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Anschlag in Tröglitz : „Gott ist hier toter, als ich dachte“

Kurz nach dem Brandanschlag demonstrieren mehrere hundert Menschen in Tröglitz gegen Fremdenhass. Bild: dpa

Drei Monate sind nach dem Anschlag von Tröglitz vergangen. Von den Tätern fehlt offenbar weiter jede Spur. Der frühere Bürgermeister bekommt nun stinkende Briefe zugeschickt und im Internet wird gehetzt.

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          Auf dem „Friedensplatz“ in Tröglitz sind sorgsam gescheitelte junge Männer zu sehen. Sie halten eine Fahne, eine Taube und einen Ölzweig in ihren Händen. „Wir lehren, lernen und kämpfen für den Frieden“ steht unter dem Fassadenbild der Schule. Am Friedensplatz können die Tröglitzer ihre Einkäufe erledigen und sich die Haare schneiden lassen. Auch die Polizei hat hier ihre Dienststelle, die allerdings nur noch sporadisch geöffnet hat. Die Beamten haben Plakate zu zwei ungelösten Fällen von innen an die Glastüre geklebt. Für Hinweise zum Verbleib der kleinen Inga sind 25000 Euro als Belohnung ausgelobt. Immerhin 20000 Euro erhält derjenige, der bei der Aufklärung des Feuers in der geplanten Asylbewerberunterkunft in Tröglitz helfen kann. In beiden Fällen wartet die Polizei bis heute vergeblich.

          Reinhard Bingener
          Politischer Korrespondent für Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Bremen mit Sitz in Hannover.

          Zu dem Haus, in dem der Burgenlandkreis vierzig der ihm zugeteilten Asylbewerber unterbringen wollte, sind es nur wenige Meter vom Friedensplatz aus. Die Ernst-Thälmann-Straße hinauf bis zur Einmündung Karl-Marx-Straße. Die Spuren des Brandes aus der Nacht zum 4. April sind noch lange nicht beseitigt. Auf dem Dach liegen in der Hitze zerborstene Dachpfannen lose herum. Man sieht die verkohlten Reste der Holzbalken darunter. Die Behörden haben das Gebäude umzäunt und mit Kameras versehen. „Zur Verhütung von Straftaten“ ist auf einem Schild zu lesen.

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          Ein alter VW-Transporter poltert das Pflaster der Ernst-Thälmann-Straße herauf. Der glatzköpfige Fahrer streckt im Vorbeifahren seinen rechten Arm zum Gruß aus. „Tröglitz ist überall“, hatte Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff kurz nach dem Brand gesagt.

          Nierth wurde innerhalb von Tröglitz noch unbeliebter

          Viele schwarze Limousinen mit Magdeburger Kennzeichen fuhren damals in Tröglitz vor. Interessanter als die angereisten Landespolitiker war für die Medien jedoch der vier Wochen vor dem Brandanschlag zurückgetretene Bürgermeister Markus Nierth. Durch das Feuer wurde Nierth außerhalb von Tröglitz noch einmal bekannter. Innerhalb von Tröglitz wurde er noch einmal unbeliebter.

          ’Gott ist hier toter, als ich dachte’: Der frühere Bürgermeister Markus Nierth mit seiner Frau Susanna.
          ’Gott ist hier toter, als ich dachte’: Der frühere Bürgermeister Markus Nierth mit seiner Frau Susanna. : Bild: Robert Gommlich

          Vom Ort des Brandanschlags bis zum Haus des früheren Ortsbürgermeisters ist es abermals nur eine kurze Strecke. Doch die Straße macht unvermittelt eine Windung und entlässt einen in ein anderes Tröglitz. Fachwerkhäuser auf lieblichen Hügeln, davor eine von alten Bäumen umsäumte Kirche. Von den Häuserriegeln der Industriearbeiter ist nichts mehr zu sehen. Die Nierths haben den einstigen Gasthof des Ortes saniert. Fachwerk im fränkischen Stil, dazu ein warmer Sandstein. Im Innenhof Zitronenfalter auf Rosen und Lavendel.

          „Gott ist hier toter, als ich dachte“

          „In den letzten Monaten haben wir schon ab und zu mit dem Gedanken gespielt, hier wegzuziehen“, berichtet der 46 Jahre alte Familienvater. „Früher fühlte ich mich mehr integriert. Es gibt einen Bruch.“ Nierth erzählt seine Geschichte. Von seinem Vater, dem Superintendenten, der 1986 mit seiner Familie nach Westdeutschland ausreiste. Dort durfte der Sohn Abitur machen. Jahre später ging er aber wieder zurück in den Osten, weil die westdeutsche Landeskirche ihm nicht die erhoffte Stelle anbieten konnte. Nierth startete in Tröglitz eine Missionsarbeit mit Jugendlichen. Inzwischen hält er diese Arbeit für weitgehend gescheitert. „Gott ist hier toter, als ich dachte.“ Der ordinierte Pfarrer machte diese Einsicht zu seinem Beruf. Als freier Trauerredner lebt er inzwischen von der geistigen Lücke, welche die DDR hinterlassen hat.

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