Proteste gegen Coronamaßnahmen : Ein plötzlicher Gewaltausbruch
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Bei einer Demonstration gegen die Einschränkungen wegen der Corona-Pandemie eskalierte am Mittwoch in Pirna die Lage Bild: Franziska Klemens/Sächsische Zeitung
Bei einem unangemeldeten Protestzug gegen die Corona-Maßnahmen greifen Bürger Polizisten an. Ein Beamter wird verletzt.
Diesmal war für Mittwoch keine Demonstration in Pirna angemeldet, stattdessen hatten Bürger im Internet zu einem „Spaziergang“ durch die Innenstadt aufgerufen. Dem folgten am Abend dann rund 200 Menschen, etwa so viele wie in den vergangenen Wochen, als in der Kreisstadt in der Sächsischen Schweiz die AfD zum Protest gegen die Beschränkungen aufgrund der Coronapandemie aufgerufen hatte. Am Dienstag aber hatte die Landesregierung in Dresden weitgehende Lockerungen beschlossen, so dürfen ab Freitag auch wieder Restaurants und Kneipen öffnen, und überhaupt soll ab dann in Sachsen fast alles wieder erlaubt sein, sofern die Hygiene-Auflagen eingehalten werden. Mit ausuferndem Protest rechnete deshalb kaum jemand, auch die Polizei war mit weniger Kräften im Einsatz.
Als sich dann jedoch gegen 19 Uhr ein unangemeldeter Demonstrationszug durch die Innenstadt formierte, bei dem fast alle Teilnehmer ohne Mund- und Nasenschutz mitliefen und auch den geforderten Mindestabstand zueinander ignorierten, griffen die Beamten ein. Zunächst habe die Polizei versucht, die Demonstration zu stoppen, um die Teilnehmer anzusprechen, schilderte Polizeidirektor Hendrik Schlicke. Daraufhin hätten die Menschen die Beamten beiseitegeschoben und seien weitergelaufen. Als die Polizei daraufhin die Demo abermals anhielt, hätten sich etwa 30 Gewaltbereite aus der Spitze der Gruppe gelöst und die Polizisten gezielt angegriffen. Auf Handyvideos ist zu sehen, wie die Beamten angebrüllt, obszön beleidigt und mit Wucht attackiert werden. Ein Polizist wurde dabei verletzt.
Einem Bericht der „Sächsischen Zeitung“ zufolge handelt es sich bei den Gewalttätern um „bekannte Gesichter aus der Neonazi- und Hooliganszene“, darüber hinaus seien aber auch „Aluhut-Träger“, Rentner, die mangelnde Meinungsfreiheit beklagten, sowie „unauffällige Menschen“ unter den „Spaziergängern“ gewesen. Immer wieder habe die Menge „Schämt Euch!“ und „Widerstand!“ in Richtung der Polizisten gerufen. Gegen 20 Uhr, also eine Stunde später, habe sich die Menge dann in unterschiedliche Richtungen zerstreut, teilte die Polizei mit. Zwar habe sich das Gros der Gruppe friedlich verhalten, sagte Schlicke. Es gebe jedoch zu denken, dass die Demonstranten Gewalttäter unter sich geduldet hätten. „An dieser Stelle kann ich nur appellieren, sich von Gewaltbereiten zu distanzieren.“
Weniger Teilnehmer als bei Demos gegen Asyl- und Flüchtlingspolitik
Die Polizei, die mit 190 Beamten sowie mehreren Videokameras im Einsatz war, leitete bislang acht Strafverfahren unter anderem wegen Landfriedensbruchs sowie tätlichen Angriffen auf Vollzugsbeamte ein. Pirna hat sich in Sachsen zu einer Art Hochburg der Proteste gegen die pandemiebedingten Einschränkungen des öffentlichen Lebens entwickelt; bereits seit Mitte April gab es in der Stadt jeden Mittwochabend Protestveranstaltungen, die jedoch zumeist friedlich verliefen. Die Zahl der Teilnehmer reicht aber bei weitem nicht an die der Demonstrationen gegen die Asyl- und Flüchtlingspolitik heran, auch wenn die Teilnehmer zum Teil dieselben sind.
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) nahm am Donnerstag Menschen, die gegen die von der Regierung verhängten Maßnahmen demonstrieren, gegen pauschale Kritik in Schutz. „Ich respektiere, dass Menschen demonstrieren und warne davor, alle Proteste in einen Topf zu werfen“, sagte er der „Sächsischen Zeitung“. „Es gibt Leute, die haben Fragen, die ich gern beantworten möchte. Es gibt zugleich Menschen, die lehnen alles ab und wollen das auch deutlich sagen. Da würde ich gern verstehen, was sie ablehnen.“ Zugleich sehe er aber auch, dass die Proteste von Leuten „unterwandert“ würden, „die alles nutzen, um Stimmung zu machen, und auch falsche Informationen streuen“. In Deutschland gebe es vielfältige Möglichkeiten, seine Meinung zu äußern und sich gegen Maßnahmen der Regierung auch juristisch zur Wehr zu setzen, sagte Kretschmer. „Deshalb halte ich es für schlichtweg unbegründet, was da gesagt wird.“