Reichsbürger-Mordfall : Tödliches Schweigen?
- -Aktualisiert am
Das Haus im bayerischen Georgensgmünd, in dem ein Angehöriger der „Reichsbürger“-Bewegung bei einer Razzia vier Polizisten angeschossen hatte Bild: dpa
Im Fall des „Reichsbürgers“, der in Georgensgmünd einen Polizisten erschoss, steht ein anderer Beamter unter einem schrecklichen Verdacht.
Noch ist es ein Anfangsverdacht – aber ein Anfangsverdacht, der die bayerische Polizei erschüttert. Wochenlang hat die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth gegen einen fünfzig Jahre alten Polizisten ermittelt, der in Kontakt mit dem Anhänger der „Reichsbürger“-Bewegung stand, der im Oktober in Georgensgmünd einen Beamten eines Spezialeinsatzkommandos kaltblütig erschoss. Das vorläufige Fazit, das die Staatsanwaltschaft am Montag zog, ist bedrückend: Die Strafverfolger sehen Anhaltspunkte dafür, dass der Polizist wusste, welche tödliche Gefahr von dem „Reichsbürger“ ausging, der in seinem Haus Waffen hortete – und dass der Beamte aber trotzdem nichts unternahm.
Es ist eine für juristische Laien nicht leicht zu durchschauende rechtliche Bewertung, die dem Ermittlungsverfahren zugrunde liegt: Die Staatsanwaltschaft prüft den Verdacht der Beihilfe zum Totschlag – und zwar nicht durch eine Handlung, sondern durch das Unterlassen einer Handlung. Aus ihrer Sicht bestand eine dienstliche Pflicht des Beamten, sein Wissen – vorausgesetzt, er hatte ein solches Wissen – weiterzugeben: Dadurch wäre es nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft möglich gewesen, die tödlichen Schüsse zu verhindern.
Wolfgang P., der Todesschütze in Georgensgmünd, galt schon vor dem Zugriff des Spezialeinsatzkommandos als gefährlich. In sozialen Medien verbreitete er ein krudes Weltbild, das von Hass auf den Staat triefte. Er markierte sein Grundstück mit gelben Strichen und erklärte es zu einem eigenen „Staatsterritorium“, auf dem nur er das Sagen habe.
P. verhielt sich, als befände er sich in einem Krieg
Die Sicherheitsbehörden wussten, von welchem Ungeist P. besessen war: Deshalb erhielt nicht eine einfache Polizeistreife, sondern ein Spezialeinsatzkommando den Auftrag, die Waffen sicherzustellen, die sich im Haus von P. befanden; die Erlaubnis für ihren Besitz war ihm zuvor entzogen worden. Auf das Inferno, das sie dort am frühen Morgen des 19. Oktober 2016 erwartete, waren die für gefährliche Einsätze geschulten und ausgerüsteten Beamten aber nicht vorbereitet. P., der früher eine Kampfkunstschule unterhielt, war bis zu dem Zugriff durch martialisches Auftreten und verbale Kraftmeiereien, aber nicht durch Gewalttätigkeiten aufgefallen. Doch an diesem Morgen reagierte P. so, als befände er sich in einem Krieg: Er trug eine Schutzweste und eröffnete ohne Vorwarnung das Feuer, als die Polizisten das Haus betraten.
Ein 32 Jahre alter Beamter wurde durch Schüsse, die P. abgab, getroffen und so schwer verletzt, dass er wenige Stunden später im Krankenhaus starb. Was wusste der Polizist, gegen den der Verdacht der Beihilfe durch Unterlassen besteht? Er ist seit November 2016 vom Dienst suspendiert, als bekanntwurde, dass er und noch ein weiterer Polizist vor der Tat in Georgensgmünd über eine Chatgruppe mit P. in Kontakt gestanden hatten. Was in dieser Chatgruppe besprochen wurde, darüber macht die Staatsanwaltschaft keine Angaben. Der Austausch muss aber eine Intensität angenommen haben, die für die Strafverfolger ausreicht, um wegen des schwerwiegenden Vorwurfs der Beihilfe zum Totschlag zu ermitteln.
Den Chatkontakt zu P. unterhielt der Polizist als Privatmann. Die Rechtsprechung stellt bei der Frage, wann ein Polizist privat erlangtes Wissen seinem Dienstherren offenbaren muss, auf den Einzelfall ab. Weder wird unterstellt, dass ein Polizist gleichsam immer im Dienst ist, noch wird angenommen, dass er außerhalb des Dienstes nur wie jeder andere Bürger handeln muss. Es wird stattdessen das Interesse eines Beamten auf Wahrung seiner Privatsphäre und das öffentliche Interesse am Schutz von wichtigen Rechtsgütern abgewogen. Erfährt ein Polizist in einer privaten Konversation, dass sich der Gesprächspartner eines Bagatelldelikts schuldig gemacht hat, kann er das für sich behalten; anders verhält es sich bei schwerwiegenden Delikten.
Wie das Ermittlungsverfahren ausgehen wird, ist offen
Bei der Georgensgmünder Tat dürfte es kaum Zweifel geben, dass der Polizist handeln musste, wenn er Anzeichen dafür hatte, dass P. zum Äußersten schreiten könnte. Ob es solche Anzeichen gab, werden die Ermittlungen zeigen. Schon Privatleute, die von der Planung eines Mordes, eines Totschlags oder einer anderen schweren Straftat erfahren und keine Anzeige erstatten, machen sich strafbar – nicht als Tatbeteiligte, aber nach einem Tatbestand, der die Nichtanzeige solcher Taten unter Strafe stellt. Bei einem Polizisten, der schweigt, kommt eine Strafbarkeit wegen einer eigenen Tatbeteiligung durch Unterlassen in Betracht.
Für den noch schwerwiegenderen Verdacht, dass P. vor dem Zugriff des Spezialeinsatzkommandos gewarnt wurde, hat die Staatsanwaltschaft offenbar keine Anhaltspunkte gefunden. Wie das Ermittlungsverfahren ausgehen wird, ist offen. Bis dahin wird die bayerische Polizei mit dem Verdacht leben müssen, dass der Tod eines Polizisten möglicherweise hätte vermieden werden können, wenn ein Kollege nicht geschwiegen hätte.