Pharmaforschung : Versuche am lebenden Ostdeutschen
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„Grundsätzlich“ nichts einzuwenden gegen klinische Studien in der ehemaligen DDR? Der Ost-Beauftragte der Bundesregierung, Christoph Bergner, hat noch ein paar Fragen. Bild: dpa
Haben westdeutsche Firmen ostdeutsche Patienten für Arzneimittelstudien missbraucht? Der Ost-Beauftragte der Bundesregierung, Christoph Bergner, will Vorwürfe gegen rund 50 Pharmaunternehmen aufklären.
Als im Mitteldeutschen Rundfunk berichtet wurde, dass westdeutsche Firmen in den achtziger Jahren Arzneimittelstudien mit ahnungslosen DDR-Bürgern durchgeführt haben sollen, horchte Christoph Bergner auf. Der Ost-Beauftragte der Bundesregierung und frühere Ministerpräsident Sachsen-Anhalts ist es gewohnt, dass auch 23 Jahre nach dem Ende der DDR noch Details einer fragwürdigen politischen Praxis bekannt werden, über die zu DDR-Zeiten nicht gesprochen wurde. Aber selbst nach zwei Jahrzehnten klang dieser Vorwurf noch ungeheuerlich.
Mehr als 50 Firmen - unter ihnen die damaligen Unternehmen Hoechst und Schering - sollen von 1983 bis 1989 insgesamt 165 Testreihen in der DDR in Auftrag gegeben haben und dafür bis zu 860.000 Mark pro Studie gezahlt haben. Die Patienten in ostdeutschen Kliniken und Praxen, an denen diese Medikamente „ausprobiert“ worden seien, hätten davon nichts gewusst. In einigen Fällen sei es dabei zu gesundheitlichen Schädigungen der Patienten gekommen. „Sollten solche Tests tatsächlich ohne Wissen und Einverständniserklärung der Patienten vorgenommen worden sein, wäre das ein schwerwiegendes Unrecht“, sagte Bergner der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Ein Unrecht, das auch nach Jahrzehnten noch juristische Folgen für die Täter haben könnte.
Konventionen über Patienten-Aufklärung
Internationale Konventionen wie die Deklaration von Helsinki des Weltärztebundes verlangen die Aufklärung und Einwilligung von Patienten, die an klinischen Studien teilnehmen. Liegt diese Einwilligung nicht vor, handelt es sich um illegale Eingriffe in den Körper, also um Körperverletzung. Dieser Straftatbestand wäre unter Umständen strafrechtlich noch nicht verjährt. „Ich nehme an, dass diese Konventionen auch in der DDR gegolten haben“, sagte Bergner. Er kündigte an, sich in der nächsten Zeit näher mit dem Thema zu beschäftigen. „Zuerst müssen wir klären, welche rechtlichen Rahmenbedingungen in der DDR für solche Studien galten.“ Sollte sich in der Fachliteratur zu diesem Thema nichts finden, will Bergner selbst eine Studie in Auftrag geben, die sich dann auch mit der Praxis und den Bedingungen des ständigen Medikamenten- und Devisenmangels in den letzten Jahren der DDR befassen müsste.
Das Problem des Devisenmangels kennt Bergner noch aus eigener Erfahrung. Er arbeitete in der DDR an einem Institut für Pflanzenbiochemie. „Um dringend benötigte Instrumente anschaffen zu können, haben wir damals Kartoffelkeime aufgearbeitet und daraus isolierte Alkaloide über die Kommerzielle Koordinierung in den Westen verkauft. Einen Anteil des Erlöses durften wir dann für unsere eigenen Anschaffungen behalten“, erzählt er. „Aus heutiger Sicht mutet das völlig verrückt an.“ Bergner rät darum von Vorverurteilungen ab, er will erst die Fakten kennen. „Erst dann kann und muss man sich fragen, ob es fahrlässig war, wenn westliche Firmen unterstellten, dass die ethischen Standards in der DDR schon eingehalten werden würden.“
Eingeschränkte Meldepflichten
Belastbare Informationen über die klinischen Studien zu finden, könnte allerdings schwierig werden. Erstens müssen klinische Studien nur innerhalb Deutschlands genehmigt werden. Versuche in westeuropäischen Staaten können noch über eine EU-Datenbank zurückverfolgt werden. Klinische Studien in Staaten außerhalb der EU müssen gar nicht genehmigt werden. Zweitens müssen die Einverständniserklärungen von Patienten in den jeweiligen Prüfzentren nur 20 Jahre lang aufbewahrt werden.