Einheitsfeier in Dresden : Den Pöblern zum Trotz
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Das Land ist ein anderes geworden, das sagt sowohl der Pfarrer der Frauenkirche, Sebastian Feydt, als auch Stanislaw Tillich, der in der Oper die Gäste begrüßt. „Beschämt erleben wir, dass Worte Lunte legen können für Hass und Gewalt“, sagt Tillich. „Das ist menschenverachtend und zutiefst unpatriotisch.“ Er ist in diesen Sätzen mittlerweile geübt. Kein Vergleich ist das alles zur letzten offiziellen Einheitsfeier in Dresden, die vor 16 Jahren unter gänzlich anderen Bedingungen stattfand. Und erst recht kein Vergleich zu 1989, als der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl in Dresden gänzlich ohne Absperrungen durch die ihm zujubelnden Massen zur Ruine der Frauenkirche lief; Bilder davon laufen jetzt über die Großbildleinwand, aber sie wirken, auch weil sie in schwarz-weiß gehalten sind, wie Abbilder einer fernen, längst vergangenen Zeit.
„Hau ab!“ statt „Hau ruck!“
Seit der letzten Einheitsfeier in Dresden sei auch viel geschafft worden, sagt Tillich und erwähnt, dass Dresden heute 2,5 Millionen Gäste im Jahr mehr als damals habe, dass sich Sachsens Export verdreifacht und die Arbeitslosigkeit verringert hätten. Die Rede und der Festakt werden nach draußen übertragen, doch es hilft nichts: Sobald Merkel oder Gauck im Bild sind, schwillt das Pfeifkonzert an. „Wer das Abendland verteidigen will, muss den Mindestansprüchen unserer Zivilisation genügen“, fordert Lammert in seiner Rede und erhält dafür auch draußen viel Beifall. Doch die Bilder bestimmen an diesem Tag andere, und einer ihrer Anstifter, Bachmann, hat sich da schon sichtlich zufrieden an einen der Bierstände zurückgezogen und betrachtet genüsslich das Trillerpfeifenkonzert, ohne sich selbst noch daran zu beteiligen. Auf der Bühne spielen das Bundespolizeiorchester und der Spielmannszug Radeberg so laut sie können dagegen an.
Andreas Hartig, der Mann vom Schützenverein, sagt, dass er vor 16 Jahren auch beim Einheitsfest dabei war, als noch „der Schröder vornweg lief und Merkel hinterher“. Auch damals seien sie mit dem gesamten Schützenverein dagewesen, und an die Politiker sei man noch nah rangekommen. Damals waren noch die Aufbau-Jahre prägend, statt „Hau ab!“ wurde „Hau ruck!“ gerufen. Jetzt aber sieht Hartig aus der Ferne zu, wie vor der Oper die schwarzen Limousinen vorfahren und Bundesminister, die Kanzlerin und den Bundespräsidenten verschlucken. Die Distanz zwischen Regierenden und Volk ist hier für alle sichtbar größer geworden.
Vielleicht hilft es aber doch, sich noch einmal auf 1989 zu besinnen. Am Freitag vor dem Festwochenende wurde in der Kreuzkirche der „Oktoberfilm“ gezeigt, ein Zusammenschnitt aus Bildern des Herbstes 1989, als sich Staatsmacht und Bürger vollkommen unversöhnlich gegenüberstanden. Dann aber richtete ein junger Mann das Wort an die Polizisten, am Ende setzten sie ihre Schilde ab, und es wurde verhandelt statt geknüppelt. „Das war der Urknall der Demokratie auf dem Boden der DDR“, erklärte der Schauspieler Friedrich-Wilhelm Junge, der den Film initiiert hat. „Die dabei waren, können heute sagen: Das haben wir geschafft. Und die nicht dabei waren, könnten was lernen.“