Parteitag der Piraten : Struktur statt Spielerei
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Abtauchen im Bällebad: Beim Bundesparteitag der Piraten Bild: Daniel Pilar
Für das Jahr vor der Bundestagswahl sind bei den Piraten Organisatoren gefragt, nicht Phantasten. Ein neues Gesicht, das die Partei in der Öffentlichkeit erklären könnte, tauchte beim Bundesparteitag nicht auf.
Paul Weiler irrt durch die Holstenhallen. Er kennt hier nicht viele, er ist älter als die meisten, er sieht anders aus. Weiler trägt einen Strickpullover mit abstraktem Muster und einen Haarkranz. Er ist 49 Jahre alt, früher war er bei den Grünen. Seit zwei Monaten ist er Pirat. Jetzt will er Bundesvorsitzender werden, und dafür braucht er Unterschriften: 20 Piraten müssen seine Kandidatur unterstützen. Also läuft er umher, und erklärt, was er vorhat: Er fordert den „HGL“, einen Höchstgrundlohn, oder die „TSM“, die transparente soziale Marktwirtschaft. Außerdem will er Themen wie Liebe und Glück bei den Piraten fördern.
Menschen wie Paul Weiler zieht die Piratenpartei magnetisch an. Hier, sagt er glücklich, könne auch einer wie er sich „für den Topjob bewerben“. Aus Prinzip kandidiert er aber auch als Stellvertreter und Beisitzer. Bei den Piraten kann jeder für jedes Amt kandidieren, auch spontan - egal wie unbekannt, egal wie neu einer in der Partei ist. Darum hatten die Piraten vor ihrem Wahlparteitag in Neumünster gefürchtet, es könnte reihenweise schräge Kandidaten geben, die das Prozedere unnötig in die Länge ziehen.
Verbündet gegen Verwirrte und Karrieristen
Tatsächlich stehen dann etliche auf der Bühne, bei deren Reden die Menge den Blick nicht vom Bildschirm hebt. Auch bei Weiler ist das so: Erst als er in seiner Bewerbungsrede den amtierenden Bundesvorstand angreift und sagt, die Partei brauche eine „außenpolitische Orientierung in Richtung Asien“, fangen einige zu buhen an. Auf Twitter wird Weiler beschimpft - was die Versammlungsleitung kritisiert.
Und als der Berliner Dietmar Moews am Rednerpult steht, der die Partei schon seit Jahren mit wirren Ansichten belastet und zuletzt durch Äußerungen über das „Weltjudentum“ auf seinem Videoblog aufgefallen war, da steht die Hälfte der 1500 Piraten auf, die roten, ablehnenden Abstimmungskarten hoch erhoben, und verlässt die Halle. Das war über Twitter abgesprochen: In dieser Phase, in der Medienrummel und tägliche Erfolgsmeldungen die Partei überfordern, steht sie zusammen und verbündet sich gegen Verwirrte und Karrieristen.
In Neumünster schlägt deshalb die Stunde der Erfahrenen, derjenigen, die sich schon für die Partei engagierten, bevor jeder sie aufregend und cool fand. Zum Beispiel Bernd Schlömer, der neue Bundesvorsitzende. Schon für seine Bewerbungsrede erhält er mehr Applaus als alle anderen. Er wolle Politik „leicht verständlich“ machen für jedermann, die Öffentlichkeit für Partizipation begeistern; die Gräben in der Partei zuschütten, alle zu konstruktiver Mitarbeit bewegen. Und er fordert die Piraten auf, sich aktiv gegen „rechtsextreme, menschenverachtende Äußerungen“ zu wehren: Auch das bringt ihm Sympathie, weil der bisherige Vorsitzende Nerz das so deutlich nie gesagt hat. Die Partei will das Thema endlich abschließen. Als die Versammlungsleitung eine Erklärung gegen die Relativierung des Holocausts verliest, steigen manche auf die Stühle, um ihre Zustimmung zu zeigen. Hinterher heißt es erleichtert, jetzt könne der Partei niemand mehr vorwerfen, auf dem rechten Auge blind zu sein.
Schlömer ist aber vor allem ein Kompromisskandidat, mit dem alle leben können - auch der wichtige Berliner Landesverband, der mit Sebastian Nerz nicht gut auskam. Zuletzt hatte eine E-Mail für Empörung gesorgt, die Nerz dem Fraktionsvorsitzenden Andreas Baum geschrieben hatte. Der solle seine Fraktion unter Kontrolle bringen, hieß es da. Abgeordnete hatten gegen Mitarbeiter des Bundesvorstands gemotzt. Diese E-Mail, glaubt Nerz, habe ihn seine Wiederwahl gekostet. Aber er präsentiert sich in Neumünster auch unvorteilhaft: In seiner Rede wirkt er schuldbewusst, kleinlaut, rückwärtsgewandt. Schlömer dagegen geht in die Offensive - er will inhaltlich präsenter sein als Nerz, und er bekennt sich zu der Online-Abstimmungssoftware Liquid Feedback, die ein Herzensanliegen der Berliner ist. Nerz hat dem Programm nie viel zugetraut.