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Kommentar : Das Großstadttrauma der CDU

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Und wieder gewinnt ein SPD-Kandidat: Sven Gerich setzte sich im März 2012 in Wiesbaden gegen den CDU-Amtsinhaber Helmut Müller durch. Mit ihm feierten der SPD-Vorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel (rechts) und die frühere Bundesentwicklungsministerin Heide Wieczorek-Zeul. Bild: dpa

Eine Großstadt nach der anderen geht für die CDU verloren, Ausnahmen bestätigen nur die Regel. Aber nicht das fehlende Stadtgefühl der Konservativen ist das Problem.

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          Was ist mit der Union los? Sie nimmt sich als einzig verbliebene Volkspartei wahr. Im Bund liegt sie in Umfragen tatsächlich stabil über der 40-Prozent-Marke. Aber in vielen Großstädten dümpelt sie vor sich hin. In Köln, der viertgrößten Stadt Deutschlands, hat es die CDU nun nicht einmal mehr geschafft, einen eigenen Kandidaten für die Oberbürgermeisterwahl im September zu finden. Sie unterstützt stattdessen, Seite an Seite mit den Grünen, die parteilose Sozialdezernentin Henriette Reker. Man darf das nicht als schwarz-grünes Signal missverstehen. CDU und Grüne eint vor allem der Wille zu verhindern, dass wieder ein Sozialdemokrat gewinnt. Das dürfte gelingen. Rekers Unterstützerkreis wird immer größer. Auch die FDP gehört dazu.

          Wofür die Kandidatin eigentlich steht, ist für die christlichen Demokraten scheinbar zweitrangig. Sie wolle kein „Politik-Profi“ werden, sondern ein „Gegenangebot zu einer parteipolitisch gesteuerten Verwaltung“ sein, sagt Reker. Entpolitisierung der Politik als Mittel gegen Parteienverdrossenheit und Kölner Filz? Das kann noch ziemlich lustig werden – oder vielleicht auch ganz langweilig. Vielleicht ginge es in Köln unter einer Oberbürgermeisterin Reker nämlich einfach so ruhig weiter wie unter dem Verwaltungsfachmann Jürgen Roters von der SPD, der im September nicht mehr antritt.

          CDU gilt Städtern als spießig

          Auch die besonnene Reker hat jahrelange Verwaltungserfahrung, sie gilt als ausgleichend und sachorientiert. Das sind zweifellos Pluspunkte, zumal in der Kommunalpolitik. Und ein in Köln ganz wichtiges weiteres Pfund ist, dass die gebürtige Kölnerin Reker anders als der Westfale Roters den Karneval liebt und lebt. Aber womit soll Köln künftig überregional wahrgenommen werden, wenn gerade nicht Karneval ist?

          Mit der Personalie Reker macht die CDU noch einmal deutlich, wie schwer sie sich in Großstädten tut. Seit Jahren schon sammelt die Partei bei Oberbürgermeisterwahlen Misserfolge ein: 2009 Köln, 2012 Stuttgart, Duisburg, Frankfurt und Karlsruhe, 2013 Wiesbaden und im vergangenen Juni Düsseldorf. Seit Jahren schon befasst sich die CDU in Gremien, Arbeitskreisen und Thesenpapieren mit der Frage, wie es ihr gelingen könnte, den Weg in die urbane Moderne zu finden.

          Nach dem Debakel im eigentlich bürgerlich geprägten Düsseldorf hat sich die CDU/CSU-Bundestagsfraktion sogar einen „Großstadtbeauftragten“ zugelegt. Kai Wegner interpretierte die Niederlage in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt als „Weckruf“ für seine Partei. Auf Bundesebene habe sich die Union zu einer modernen Partei entwickelt. In den Städten aber wirke sie oft zu spießig. Generalsekretär Peter Tauber sagte, seine Partei treffe das Stadtgefühl nicht.

          Ist das so? In Düsseldorf beispielsweise stellt die CDU immerhin die mit Abstand größte Ratsfraktion, was sich gewiss nicht mit urbaner Gefühllosigkeit erklären lässt. Die SPD dagegen war bei der Kommunalwahl im Mai nicht einmal auf 30 Prozent gekommen. Über das Großstadtproblem der SPD ließe sich auch am Beispiel von Frankfurt nachdenken, wo es schon lange ein schwarz-grünes Ratsbündnis gibt.

          Machtoption nur noch mit den Grünen

          Die bürgerliche Mehrheit von CDU und FDP ist auf allen Ebenen dahin. Kommunalpolitisch hat die CDU häufig nur noch mit den Grünen eine Machtoption. Einen schwarz-grünen Zauber aber gibt es längst nicht mehr. In Baden-Württemberg kann man das besonders gut beobachten. Seitdem ein Grüner dort Ministerpräsident ist, sind CDU und Grüne „natürliche“ Konkurrenten im Ringen um die politische Führungsposition. Lieber als mit den Grünen würden viele Christliche Demokraten im Südwesten nach der Landtagswahl im kommenden Jahr mit der (kleinen) SPD regieren.

          In Stuttgart gewann 2012 ein Grüner: Fritz Kuhn löste den langjährigen CDU-Oberbürgermeister Wolfgang Schuster ab, der nicht wieder antrat. Gegen Kuhn war der parteilose Sebastian Turner angetreten, der von CDU und FDP unterstützt worden war.
          In Stuttgart gewann 2012 ein Grüner: Fritz Kuhn löste den langjährigen CDU-Oberbürgermeister Wolfgang Schuster ab, der nicht wieder antrat. Gegen Kuhn war der parteilose Sebastian Turner angetreten, der von CDU und FDP unterstützt worden war. : Bild: dpa

          Nicht nur in den Großstädten buhlen CDU und Grüne mittlerweile um eine recht große gemeinsame Wählerschnittmenge. Daraus folgt, dass nur solche CDU-Kandidaten bei Oberbürgermeisterwahlen eine Chance haben, die auch für die Wähler der Grünen akzeptabel sind. In Konstanz, das 1996 den ersten grünen Oberbürgermeister Deutschlands wählte, konnte sich 2012 ein im grünen Milieu anerkannter CDU-Kandidat durchsetzen.

          Gegenbeispiel Frankfurt

          Ein Gegenbeispiel ist Frankfurt. Dort strahlte Oberbürgermeisterin Petra Roth jahrelang Urbanität aus, wurde als Kümmerer-Typ wahrgenommen und wirkte obendrein an der Modernisierung der CDU mit. Der damalige hessische Innenminister Boris Rhein, den sie als ihren Nachfolger vorschlug, war für die Grünen-Wähler aber nicht akzeptabel. Ergebnis: Ein Außenseiter, der Sozialdemokrat Peter Feldmann, setzte sich durch. Mit „Stadtgefühl“ hatte das nichts zu tun.

          Das Kalkül ging nicht auf: Der von Petra Roth (rechts) in einem Überraschungscoup nominierte Boris Rhein verlor in Frankfurt gegen den praktisch unbekannten Peter Feldmann (SPD).
          Das Kalkül ging nicht auf: Der von Petra Roth (rechts) in einem Überraschungscoup nominierte Boris Rhein verlor in Frankfurt gegen den praktisch unbekannten Peter Feldmann (SPD). : Bild: Wonge

          Die große Wende in den großen Städten wird der CDU 2015 aller Voraussicht nach nicht gelingen – weder in Hamburg (Mitte Februar) noch in Bremen (Anfang Mai). Ein Sieg der parteilosen Reker in Köln macht die CDU auch nicht zur Großstadtpartei. Aber Chancen auf die Wende zum Besseren hat die CDU: In Bonn etwa tritt ein eloquenter Deutsch-Inder bei der Oberbürgermeisterwahl für sie an. Er hat Verwaltungserfahrung und ist für Grüne eindeutig wählbar. Das gilt auch für den OB-Kandidaten der CDU in Essen – der zudem schon einige Jahre lang gute Erfahrungen mit Schwarz-Grün im Rat gemacht hat.

          Reiner Burger
          Politischer Korrespondent in Nordrhein-Westfalen.

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