NSU-Untersuchungsausschuss : Die vielen Zufälle im Mordfall Kiesewetter
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Trauerzug für Michèle Kiesewetter im April 2007: Verwandte der Polizistin hatten Kontakte zur rechtsextremen Szene Bild: dpa
Seit mehr als zwei Jahren versucht ein Untersuchungsausschuss des Thüringer Landtags, die Hintergründe des Mords an der Polizistin Michèle Kiesewetter aufzuklären. Doch immer neue Fragen tun sich auf - es geht um Verbindungen von Verwandten zur rechten Szene und eine dubiose Zeugin.
Bis zum Ende der Legislatur im Sommer muss der Thüringer NSU-Ausschuss seinen Abschlussbericht vorlegen. Darin will er ergründen, warum es den Behörden nicht gelang, das Trio Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe zu stellen, das sich den Namen „Nationalsozialistischer Untergrund“ gegeben hatte und über Jahre mordend und raubend unbehelligt durch Deutschland gezogen ist. Doch selbst nach mehr als zwei Jahren Ausschussarbeit sind nicht nur viele Fragen offen, sondern es tun sich immer neue auf.
Etwa jene, ob die Behörden nach dem Mord an der aus Thüringen stammenden Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn unvollständig ermittelt haben. Nicht nur die Ausschussvorsitzende Dorothea Marx (SPD) hegt den Verdacht, dass das persönliche Umfeld des Opfers nicht hinreichend von der Polizei erhellt worden sein könnte. Die Festplatte des persönlichen Computers der Polizistin sei zum Beispiel nicht untersucht worden.
Auch der Obmann der CDU im Untersuchungsausschuss, Jörg Kellner, stellt verwundert fest, dass nicht allen Spuren nachgegangen worden sei. Die Thüringer Polizistin Anja W., eine gute Bekannte des Mordopfers, sei bis 2011 nicht von der Polizei befragt worden. Dabei hatte sie zumindest im Ausschuss einiges zu berichten.
Verbindungen in die rechtsextreme Szene
W. war einmal die Freundin von Kiesewetters Onkel. Auch der ist Polizist, wie seine Nichte es war. Zwischen seiner Tochter und Michèle Kiesewetter könnte nach Einschätzung des CDU-Obmanns ein Konkurrenzverhältnis bestanden haben. In der Familie sei Michèle bevorzugt worden, während die Tochter des Onkels Verbindungen in die rechtsextreme Szene, Drogenprobleme und überdies möglicherweise Kontakte zur Organisierten Kriminalität gehabt haben könnte.
Kiesewetters Onkel hat die Behauptung, seine Tochter unterhalte Kontakte in die Naziszene, zurückgewiesen. Dennoch bleibt die Frage, ob die Täter Michèle Kiesewetter tatsächlich zufällig als Opfer wählten, wie bisher angenommen wurde. Immerhin war Kiesewetter in Baden-Württemberg als verdeckte Ermittlerin im Drogenhandel im Einsatz.
Nachdem wiederum Anja W. das Verhältnis mit Kiesewetters Onkel beendet hatte, lernte sie einen Mann näher kennen, gegen den sie gerade ermittelte, und heiratete diesen schließlich. Es ist der Inhaber eines Sicherheitsunternehmens in Ostthüringen. Dass er Verbindungen in die rechtsextreme Szene hat, kann vermutet werden.
In den neunziger Jahren soll der heutige Ehemann der Polizistin W. in einem Strafverfahren gegen den mutmaßlichen Terroristen Böhnhardt als Zeuge gehört worden sein. An einer Kruzifixverbrennung durch Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe soll ein Verwandter des Ehemanns beteiligt gewesen sein.
„Dubiose Zeugin“
Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes, heißt es, begründeten das Fernbleiben vom vereinbarten Dienst schon einmal mit dem Hinweis, „Türken klatschen“ gewesen zu sein. Auf die Frage, wie sie mit solchem Wissen umgehen könne, das sie im Privatleben über ihren Mann und dessen Unternehmen erlange, antwortete die Polizistin W., sie könne gut zwischen privat und dienstlich trennen.
CDU-Obmann Kellner hält die Polizistin für eine „dubiose Zeugin“, aber für die Ausschussvorsitzende Marx sind ihre Aussagen durchaus aufschlussreich. Zum Beispiel berichtete Frau W., dass sie nach dem Auffliegen des NSU von Behördenvertretern, die ihr irgendeinen Ausweis zeigten, an den sie sich aber im Detail nicht mehr erinnerte, bedroht worden sei. Sie, die Polizistin, solle nicht alles sagen, was sie wisse. Sie, Frau W., habe dies damals nicht angezeigt, aber sie habe dem Onkel der Kollegin Kiesewetter davon berichtet. Der wiederum habe dies an einen Mitarbeiter der „BAO Trio“ (Besondere Aufbauorganisation der Polizei) in Baden-Württemberg weitergeleitet. Diese sei dem Hinweis nicht nachgegangen.
An diesem Donnerstag will der Ausschuss auf die Ereignisse am 4. November 2011 in Eisenach zu sprechen kommen, als sich die mutmaßlichen Terroristen Böhnhardt und Mundlos nach einem wohl von ihnen verübten Bankraub in einem Wohnmobil das Leben nahmen.
Auch hier sind weiter Fragen offen; es soll widersprüchliche Aussagen aus der Polizei über das Geschehen beim Auffinden des Wohnmobils geben. Einerseits heißt es, die Polizisten, die sich dem Auto näherten, hätten Schüsse gehört, andererseits soll auf sie geschossen worden sein. Auch von Schüssen aus einer Maschinenpistole soll die Rede gewesen sein. Offen ist zudem, wann welcher Beamte in welcher Behörde zum ersten Mal den Verdacht hatte, dass es sich bei den Männern im Wohnmobil um Böhnhardt und Mundlos handeln könnte.
Die Versuchung, immer neue Zeugen zu bestellen, um die immer neuen Ungereimtheiten zu klären, ist groß, aber die Zeit zu knapp. Verschwörungstheoretiker werden die passenden Antworten geben.