NRW-Verfassungsschutzbericht : „Das Netz ist die Reifekammer für Terroristen“
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NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) Bild: dpa
Der jüngste nordrhein-westfälische Verfassungsschutzbericht zeigt, wie gefährlich Sicherheitsbehörden das Potential von Verschwörungsideologien mittlerweile einschätzen.
Auf den ersten Blick schienen der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) und Burkhard Freier, der Leiter des Landesverfassungsschutzes, eine Reihe von guten Botschaften mitzuteilen zu haben. Aus dem neuesten Verfassungsschutzbericht, den die beiden am Dienstag vorstellten, geht hervor, das die Zahl der politisch motivierten Straftaten von 2018 auf 2019 um rund 200 auf 6032 zurückgegangen ist. Vor allem gab es zuletzt deutlich weniger politisch motivierte Gewaltdelikte. Die Zahl der von rechtsextremen Tatverdächtigen begangenen Gewalttaten nahm um etwas mehr als 27 Prozent auf 158 ab, jene von mutmaßlichen Linksextremisten verringerte sich noch deutlicher von 447 im Jahr 2018 auf 200 – was die Sicherheitsbehörden vornehmlich auf eine seit dem Kohlekompromiss veränderte Lage im Hambacher Forst zurückführen.
Zur Entwarnung sah Reul gleichwohl keinerlei Anlass – weder mit Blick auf islamistische Extremisten, auf Rechtsextremisten oder eben auf Linksextremisten. „Im Hambacher Forst werden nach wie vor Sicherheitskräfte mit Feuerwerkskörpern beschossen und mit Brandsätzen beworfen, es werden Menschenleben aufs Spiel gesetzt“, sagte der Innenminister. „Wer das relativiert und die handelnden Personen als Aktivisten herunterspielt, der hat wirklich nichts kapiert.“ Sorgen bereiten den Behörden zudem, dass die Zahl der Rechtsextremisten in NRW den höchsten Stand seit zehn Jahren erreicht hat. 4075 Personen sind aktuell dem Rechtsextremismus zuzurechnen, also gut ein Viertel mehr als noch 2018. Nach Angaben von Verfassungsschutzchef Freier hat der starke Anstieg damit zu tun, dass auch Mitglieder des „Flügel“, einer AfD-Gruppierung, die sich offiziell mittlerweile aufgelöst hat, nun mitgezählt werden. Hinzu kämen weitere Personen des sogenannten legalistischen Extremismus. Sie gelten zwar nicht als gewaltbereit. „Trotzdem sind auch sie aus unserer Sicht intensiv zu beobachten, weil sie den Nährboden bereiten für den Extremismus, und auf diesem Nährboden wächst dann Gewalt, Rassismus und möglicherweise auch Terrorismus.“
Die größte Herausforderung für alle Sicherheitsbehörden in Nordrhein-Westfalen ist nach Einschätzung des Verfassungsschutzes die Digitalisierung des Extremismus – ganz gleich welcher Ausrichtung. Innenminister Reul formuliert das auf die ihm eigene Art: „Das Netz ist die Dunkelkammer eines extremistischen Weltbildes und die Reifekammer für Terroristen. Es ist die Radikalisierungsmaschine des 21. Jahrhunderts“, sagte Reul „Hier wird Hass gesät, hier verbreitet er sich, hier werden Extremisten zu Terroristen und hier gedeihen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit.“
Ausführlich ging Reul bei der Vorstellung des neuesten Verfassungsschutzgerichts auf das Thema Verschwörungsideologien ein. „Massiv“ werde „dieser Irrsinn“ verbreitet, den man keinesfalls unterschätzen dürfe. Denn über das Netz sickere krudes Ideologiegebräu in die Mitte der Gesellschaft. Entlang der Verschwörungsideologien bildeten sich dann „Mischszenen“ aus ganz unterschiedlich motivierten und sozialisierten Menschen. „Da finden sich dann Hooligans, Rocker, Rechtsextremisten und Wutbürger. Aber eben auch ganz normale Leute, die sich Sorgen machen, nachdem sie so viel im Netz über die vermeintlich schlimmen Verhältnisse gelesen haben.“