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Nach Bildungsstudie : NRW setzt auf frühere Förderung beim Lesen und Rechnen

Eine Grundschulklasse in Nordrhein-Westfalen Bild: dpa

Aufgrund der Lese- und Matheschwäche vieler Grundschüler in Nordrhein-Westfalen will Schulministerin Feller, dass individueller Förderbedarf früher erkannt wird. Der SPD geht das nicht weit genug.

          2 Min.

          Als Konsequenz aus dem schlechten Abschneiden von Grundschülern in Vergleichsstudien will Nordrhein-Westfalen ein Programm aufbauen, um den individuellen Förderbedarf der Jungen und Mädchen früher zu erkennen. In einer Schulausschuss-Sondersitzung des Landtags kündigte Schulministerin Dorothee Feller (CDU) zudem an, dass es anders als bisher künftig landesweit vorgegebene wissenschaftlich fundierte Schwerpunkte und Lernmaterialien geben soll; aktuell müssen sich die Lehrkräfte ihre eigenen Fördermaterialien zusammenstellen.

          Reiner Burger
          Politischer Korrespondent in Nordrhein-Westfalen.

          Laut jüngstem IQB-Bildungstrend erfüllt rund ein Viertel der Grundschüler in Nordrhein-Westfalen die Mindestvoraussetzungen im Lesen, Schreiben, Rechnen, Zuhören und in der emotional-sozialen Entwicklung nicht. Die internationale Lesestudie IGLU bestätigte kürzlich, dass nahezu jeder vierte Viertklässler in Nordrhein-Westfalen nicht richtig lesen kann. „Das sind alarmierende Zahlen, die wir keinesfalls hinnehmen werden“, sagte Ministerin Feller. Aufgrund der hohen Bedeutung der Lesekompetenz für den Erwerb weiterer Kompetenzen wie auch das Rechnen werde mit der Leseförderung begonnen.

          Entsprechende Materialien sollen den Schulleitungen am 12. Juni in einer digitalen Großveranstaltung vorgestellt werden. Nach den Sommerferien werden im bevölkerungsreichsten Bundesland dann unter der Kurzformel „3 mal 20 Minuten“ verbindliche Lesezeiten in den Stundentafeln der Grundschulen eingeführt.

          Emotional-soziale Entwicklung

          Neben der Lese- und Rechenförderung gehe es um die dritte Basiskompetenz, die emotional-soziale Entwicklung. Sie sei von fundamentaler Bedeutung, damit sich die Kinder auf den Unterricht konzentrieren könnten. „Kinder, die im emotional-sozialen Bereich Schwierigkeiten haben, und nicht altersgerecht entwickelt sind, bringen kaum Kraft mit, um sich auf schulische Inhalte wie das Lesen, Schreiben und Rechnen einlassen zu können“, sagte Feller.

          Zudem will die Ministerin ein „einheitliches Screening“ aufbauen, damit der Förderbedarf bereits bei der Grundschulanmeldung erkannt wird. Viele Schulen nutzen ein derartiges Verfahren zwar schon, es ist aber bisher nicht verbindlich vorgeschrieben. Konkretere Angaben zum geplanten Früherkennungsprogramm machte die Ministerin am Donnerstag nicht.

          Feller sagte, den Grundschulen sei in den vergangenen Jahren mit ständigen Neuerungen viel Unruhe und Mehrarbeit zugemutet worden. Deshalb gehe es nun um Verlässlichkeit und auf Dauer angelegte Strukturen. Ein Blick nach Hamburg – das in der IQB-Studie gut abschnitt – zeige, dass man für die Verbesserung der Basiskompetenzen einen langen Atem brauche.

          Feller: Kein Sprint, sonder Marathon

          Die Ministerin sprach von einer Mammutaufgabe, die nicht in einem Sprint, sondern in einem Marathon bewältigt werden müsse. „Auch das Beispiel Hamburg – wo der Turnaround gelungen ist – zeigt, dass eine Umkehr des Negativtrends nicht von heute auf morgen möglich ist.“ Hamburg habe dafür ein Jahrzehnt gebraucht, sagte die seit vergangenem Sommer amtierende Ministerin und verwies auf die Versäumnisse ihrer Vorgängerinnen. „Um schon morgen positive Ergebnisse zu erlangen, hätte es bereits vor mehr als zehn Jahren gezielter Maßnahmen und einer effektiven Unterstützung unserer Grundschulen bedurft. Diese Versäumnisse lassen sich nicht in wenigen Wochen aufholen.“

          Die SPD warf der Schulministerin vor, grundständige Veränderungen und Verbesserungen des Bildungssystems zu scheuen. Ein halbes Jahr nach dem IQB-Bildungstrend biete die schwarz-grüne Landesregierung von Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) als einzige konkrete Maßnahme zur Stärkung der Basiskompetenzen das Programm „3 mal 20 Minuten Lesen“ pro Woche an. „Das ist nicht verkehrt, aber erschreckend wenig“, sagte Dilek Engin, die bildungspolitische Sprecherin der größten Oppositionsfraktion.

          Die Ministerin habe sich im Ausschuss hinter „einem Haufen Materialien“ versteckt, die nur ihre Wirksamkeit entfalten können, wenn es ausreichend Lehrkräfte und genügend Zeit gebe, so Engin. Mitten in der Bildungskatastrophe bleibe Feller weiter ein Gesamtkonzept schuldig. Dazu gehöre, dass Kinder bereits im Alter von viereinhalb Jahren von Ärzten des Gesundheitsamts in den Kitas auf ihre methodische, sprachliche und soziale Entwicklung untersucht werden, damit die Jungen und Mädchen dann im Jahr vor der Einschulung gezielt gefördert werden könnten.

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