Neue Asylpolitik : Schafft Seehofer das?
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Derzeit stecken noch Hunderttausende solcher Fälle in Gerichtsverfahren. Ein großer Teil der Betroffenen wird Deutschland wieder verlassen müssen. Viele davon sind Afghanen. 255000 von ihnen leben inzwischen in Deutschland. Ein großer Teil bekommt kein Bleiberecht. Und bleibt dennoch. Die afghanische Regierung, die anfangs noch befürchtet hatte, dass Deutschland jede Woche Flieger mit Ausreisepflichtigen schickt, ist erleichtert. Immerhin hat das zu einer Entspannung zwischen beiden Ländern beigetragen. Die ganzen Hindernisse bei Abschiebungen lösen bei den Herkunftsstaaten oft Verwunderung aus. Dass es hier Organisationen gibt, die Termine von Abschiebeflügen öffentlich machen und sogar für Übernachtungsmöglichkeiten sorgen, damit die Polizei die abgelehnten Asylbewerber nicht zu Hause antrifft. Oder ein anderes Phänomen, das man im Ministerium beobachtet hat: Die Ausländerbehörden schrecken offenbar manchmal sogar vor Rückführungen zurück, etwa wenn es um gewalttätige Männer geht, die mit Straftaten aufgefallen sind. Einzelne Behördenmitarbeiter gehen dann wohl davon aus: Der ist so renitent, da sind Rückführungsmaßnahmen sowieso zwecklos.
20.000 mehr Abschiebungen
„Warum sammeln Sie die Leute vorher nicht?“, erkundigte sich ein afghanischer Diplomat kürzlich beim Bundesinnenministerium. Das ist ein Problem, das weder die Ministerialbeamten noch der Minister selbst lösen können. Nur die Länder. Die werden auch von der Bundespolizei kritisiert. Hätten sie mehr Abschiebehaftplätze zur Verfügung gestellt, hätte die Polizei im vergangenen Jahr schätzungsweise 20.000 Abschiebungen mehr organisieren können.
In Berlin und Brandenburg gibt es keinen einzigen Abschiebehaftplatz. Das spricht sich herum, bei Schleusern wie auch bei den Migranten. Immer mehr zieht es deswegen in die Hauptstadt: Hier droht keine Abschiebung, wenn man rechtzeitig untertaucht. Eine Idee aus dem Bundesinnenministerium könnte helfen. Es gibt verschiedene Stellen, an denen die ausreisepflichtigen Migranten in Erscheinung treten: etwa wenn sie zur Duldungsverlängerung kommen. Warum sammelt man sie nicht dort?
Die Migration nach Deutschland bekommt man mit Abschiebung allein nicht in den Griff. Deswegen schauen viele auf die Grenzen. An den europäischen und auch an den deutschen Außengrenzen. Am 12. Mai läuft die Befugnis aus, Binnengrenzkontrollen vorzunehmen. Neben Deutschland betrifft das fünf weitere Länder. Österreich und Frankreich wollen weiter punktuell kontrollieren. Seehofer hat schon deutlich gemacht, dass auch er die bayerisch-österreichische Grenze weiter kontrollieren lassen will. Das wird auch Thema während der Klausurtagung der Bundesregierung auf Schloss Meseberg sein, die an diesem Dienstag startet. Was passiert an der deutschen Außengrenze? Und wen soll man zurückweisen?
Das ist die große Frage. Es gibt zwar Zurückweisungen, aber das sind kaum mehr als 1.500 im Monat. Und sie betreffen nur diejenigen unter den Nichteuropäern, die ohne Aufenthaltstitel durch Deutschland hindurchreisen wollen. Die Polizei darf auch dann die Einreise verwehren, wenn es Indizien dafür gibt, dass jemand keinen Asylantrag stellen, sondern illegal arbeiten will und deswegen den Kofferraum voller Werkzeug hat. Oder andere kriminelle Absichten hegt. Ansonsten gilt der Ministererlass vom September 2015: Die Grenzbehörden sind angewiesen, Asylsuchenden die Einreise zu gestatten. Eigentlich müssten die Grenzbeamten all jene abweisen, die aus einem sicheren Drittstaat einreisen. Durch den Ministererlass darf die Polizei das nicht tun. Dieser Erlass wurde nie schriftlich festgehalten, nur mündlich überbracht: vom damaligen Innenminister de Maizière an den Präsidenten der Bundespolizei. Geschuldet ist er der Sondersituation im Herbst 2015. Angela Merkels Linie war es, die Flüchtlingskrise nicht durch Abschottung zu lösen, sondern durch Vereinbarungen zwischen der Europäischen Union und der Türkei. Wenn Deutschland seine Grenzen dichtmacht, so ihre Befürchtung, dann wäre nicht nur Schengen am Ende, sondern der Kern der Europäischen Union.