Faeser zum Terror-Gedenktag : „Zu lange galt fast alle Aufmerksamkeit den Tätern“
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Gedenkveranstaltung an die Opfer des Terroranschlags von Hanau Bild: dpa
Wenn es um Terrorismus geht, haben sich staatliche Stellen bisher zu sehr auf die Täter konzentriert. Das bleibt wichtig. Aber Opfern und Hinterbliebenen schulden wir mehr Empathie – und lückenlose Aufklärung. Ein Gastbeitrag zum ersten Gedenktag für Terror-Opfer.
Heute ist der erste Nationale Gedenktag für die Opfer terroristischer Gewalt. Der 11. März ist ein Tag der Erinnerung, des Mitgefühls, aber auch der Mahnung, mit aller Entschlossenheit gegen terroristische Bedrohungen vorzugehen. Heute gedenkt die ganze EU Terroropfern. Am 11. März 2004 wurden bei dem islamistischen Bombenanschlag auf vier Züge in Madrid fast 200 Menschen getötet, Hunderte wurden verletzt. Auch unser Land wurde in den letzten Jahren durch mörderische Anschläge erschüttert. Und wir denken heute genauso an die deutschen Opfer von Terrorakten im Ausland.
Es ist lange überfällig, dass wir uns – in allen staatlichen Stellen – mit mehr Empathie und mehr Unterstützung den Menschen zuwenden, deren Leben durch Anschläge dramatisch verändert wurde. Zu lange galt fast alle Aufmerksamkeit den Tätern. Es müssen die Stimmen der Opfer sein, die zählen.
„Unsere Welt steht seither Kopf“, sagte Ajla Kurtovic vor wenigen Wochen zum zweiten Jahrestag des rassistischen Anschlags in Hanau, bei dem ihr Bruder Hamza ermordet wurde. Er wurde nur 22 Jahre alt. „Da ist nach wie vor ein ganz großer Riss in meinem Leben“, sagt Astrid Passin, die ihren Vater bei dem islamistischen Anschlag auf den Berliner Breitscheidplatz 2016 verlor. Ihr Schmerz geht nie wieder weg. Ein Menschenschicksal passt nicht in einen Aktendeckel. Wer Opfer eines Anschlags wird, darf kein Gewirr von Behördenvorgängen erleben, sondern braucht schnelle und umfassende Hilfe. Terroropfer müssen die bestmögliche gesundheitliche und psychologische Versorgung erhalten.
Interkulturelle Kompetenzen vermitteln
Ebenso bedarf es finanzieller Unterstützung, um Existenznöte zu lindern, und unbürokratischer praktischer Hilfen. Seit Kurzem gibt es einen Anspruch auf Behandlung in Trauma-Ambulanzen für die schnelle psychologische Hilfe. Doch vielerorts sind Verfahren noch zu kompliziert, Wege weit und Formulare kaum verständlich. Hier können und müssen alle staatlichen Einrichtungen besser werden.
Das Bundeskriminalamt baut derzeit ein Netzwerk zur Opferfürsorge bei terroristischen Anschlägen auf. Genauso stärken wir gemeinsam mit den Ländern die Polizeiausbildung: Wir wollen interkulturelle Kompetenzen noch stärker vermitteln und mit Schulungen für einen sensibleren Erstkontakt und für mehr Transparenz gegenüber Angehörigen sorgen. Deutschland weiß, was Terrorismus heißt. Das Spektrum reicht von radikalisierten Einzeltätern über netzwerkartige Strukturen bis hin zu hierarchisch strukturierten Terrororganisationen.
Der linksextremistische Terror der Roten Armee Fraktion, der Bewegung 2. Juni sowie der Revolutionären Zellen in den 1970er- und 1980er-Jahren darf nicht in Vergessenheit geraten. 33 Menschen sind bei Anschlägen der RAF ums Leben gekommen. Diese Attentate haben zu erheblichen Veränderungen in der Sicherheitsarchitektur der Bundesrepublik geführt.
Die Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus hält unverändert an. Trauriges Zeugnis davon sind das Attentat vom Berliner Breitscheidplatz, Messerangriffe, der Brandanschlag in Waldkraiburg und der Anschlag auf amerikanische Soldaten am Flughafen in Frankfurt. Seit 2000 sind 23 islamistische Anschläge gescheitert oder wurden von unseren Sicherheitsbehörden in Deutschland verhindert.
Und die Spur des rechten Terrors zieht sich durch unsere jüngere Geschichte: Das Attentat 1980 auf das Münchener Oktoberfest, bei dem 13 Menschen getötet und über 200 verletzt wurden, bleibt ein tiefer Einschnitt. Wir denken an Hoyerswerda, Mölln und Solingen in den 1990er-Jahren, an den Terror des „NSU“, den Anschlag am Münchner Olympia-Einkaufszentrum, den Terror von Halle und Hanau.
Nach einem Anschlag stellen sich drängende Fragen: Ob die Tat hätte verhindert werden können, welche Versäumnisse es gab, welche Konsequenzen wir ziehen müssen. Der Staat schuldet den Überlebenden und Hinterbliebenen eine transparente und lückenlose Aufarbeitung. Nur so kann das tief verletzte Vertrauen in den Staat wieder wachsen. Nur so haben die Angehörigen überhaupt eine Möglichkeit, mit dem grauenvollen Geschehenen leben zu können.
Jeder Mensch zählt
Das ist eine Verpflichtung des Staates, der wir nachkommen müssen: Dass es Jahrzehnte dauerte, bis das Oktoberfestattentat als rechtsextremistisch eingestuft wurde, dass die Aufarbeitung des „NSU“-Terrors bis heute nicht abgeschlossen ist, dass die Aufklärung der rassistischen Morde in Hanau erst jetzt im Untersuchungsausschuss des Hessischen Landtags stattfindet – all dies hat dazu geführt, dass quälende Fragen zu lange offengeblieben sind. Als neue Bundesinnenministerin ist es mir sehr wichtig, dass vonseiten des Bundes mehr Transparenz erfolgt und aus Versäumnissen klare Konsequenzen gezogen werden. Denn das ist die Grundlage dafür, unsere wehrhafte Demokratie zu verteidigen, die Sicherheitsbehörden zu stärken und brutale Gewalt zu verhindern.
In ihrem Fanatismus glauben Terroristen, ihre Opfer würden nichts zählen. Sie täuschen sich. Jeder Mensch zählt. Deswegen müssen wir die Erinnerung an jeden Einzelnen wachhalten, der Opfer terroristischer Gewalt wurde. Am 11. März. Und an jedem Tag.