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Nach Razzien : Warum Nordrhein-Westfalen ein islamistischer Hotspot ist

  • -Aktualisiert am

Festnahme in einer Flüchtlingsunterkunft in Dinslaken. Bild: dpa

Vier Razzien in vier Städten: Die Islamistenszene in NRW ist stark. Woran liegt es, dass gerade im größten Bundesland so viele radikalisierte Muslime sind?

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          Vier Durchsuchungen in vier Städten, Duisburg, Dinslaken, Düsseldorf und Tönisvorst. Eine Festnahme, ein Haftbefehl gegen einen Mann, der einen Anschlag auf ein Fußballbundesliga-Spiel geplant haben soll: Vergangenen Mittwoch hat sich wieder gezeigt, dass sich Nordrhein-Westfalen zum islamistischen Hotspot entwickelt hat.

          Das Innenministerium des Landes sagt, in NRW herrsche keine andere Sicherheitslage als im Rest von Deutschland. Fakt ist aber: Es gibt gerade zwischen Rhein und Ruhr besonders viele Salafisten. Mehr als in jedem anderen Bundesland. Warum ist das so?

          Mit knapp 18 Millionen Einwohnern ist NRW das größte Bundesland. Ein einfacher Zusammenhang: Viele Einwohner, viele Muslime, viele Salafisten. Von den 1200 Salafisten, die in Deutschland als gewaltbereit gelten, lebt jeder zweite in Nordrhein-Westfalen. Insgesamt sind dort nach Angaben des Innenministeriums etwa 2500 extremistische Salafisten ansässig.

          Das liegt auch daran, dass sich die Städte ballen, besonders im Ruhrgebiet. „Auch Salafisten brauchen eine Infrastruktur, um sich zu organisieren“, sagt Jörg Rademacher vom Verfassungsschutz des Innenministeriums. Im Ruhrgebiet sind die Infrastrukturen gut, die Distanzen klein, durch die sich extremistische Gruppierungen ausbreiten können.

          Die meisten Jugendlichen haben keine religiöse Vorbildung

          Aber Ballungszentren allein machen noch keinen Salafisten. Viele Städte haben Probleme mit Arbeitslosigkeit und Armut. Für Salafisten ist das ein besonders guter Nährboden, um für die eigenen Thesen zu werben und Neulinge an sich zu binden.

          Der Politologe Aladin El-Mafaalani von der Fachhochschule Münster hat sich viel mit der Frage auseinander gesetzt, warum junge Erwachsene radikal werden und sich extremistischen Gruppierungen anschließen. Er ist überzeugt, dass die meisten Jugendlichen keinerlei religiöse Vorbildung haben. Sondern eine generelle Antihaltung vertreten, weil sie selbst Diskriminierung erfahren haben, sich ausgegrenzt fühlen, desorientiert sind. Viele Jugendliche fühlten sich ausgegrenzt.  

          Die Razzia, die Polizisten in der vergangenen Woche in Düsseldorf durchgeführt haben, fand im Stadtteil Oberbilk statt. Er hat mit 30 Prozent den höchsten Ausländeranteil der Stadt, besitzt drei Moscheen und ein marokkanisches Viertel. Ein anderes Beispiel ist der Stadtteil Lohberg in Dinslaken. Der klassische Problembezirk mit hohem Ausländeranteil und hoher Arbeitslosigkeit hat sich zur Salafistenhochburg entwickelt. Überregional ist längst die Lohberger Brigade bekannt geworden. Mitglieder sind als Kämpfer des IS wieder nach Deutschland zurückgekehrt.

          Jugendliche, die in Lohberg aufwachsen, sind leichte Beute für Salafisten. Sie hängen auf der Straße herum, auf öffentlichen, oftmals trostlosen Plätzen, wenn sie zum ersten Mal angesprochen werden. Die erste Kontaktaufnahme zwischen Salafisten und Jugendlichen erfolgt meist auf der Straße. Es beginnt mit einem harmlosen Gespräch, ob sie beispielsweise nicht Lust haben, Fußball zu spielen. Salafisten missbrauchen gerne bereits bestehende Vereinsstrukturen wie zum Beispiel die eines Fußballvereins aus einer Kreisliga. Irgendwann heißt es dann abends nach einem Spiel: „Magst du nicht noch mitkommen, wir treffen uns und quatschen ein bisschen“. So oder so ähnlich beginnt es, von Religion oder vom Dschihad ist längst keine Rede. Das kommt später.  

          „Die Gebete in den Ditib-Moscheen sind Rentnerveranstaltungen“

          Irgendwann gehen die Jugendlichen dann zum ersten Mal zu salafistischen Treffen, und werden dort mit offenen Armen brüderlich empfangen. Sie hören salafistische Vorträge, die erklären, warum Muslime überall auf der Welt diskriminiert werden. Es wird eine Weltgemeinschaft von benachteiligten Muslimen heraufbeschworen. Das muss für Jugendliche überwältigend sein, wenn sie zuvor nirgends so richtig dazugehörte.

          Zugehörigkeiten spielen gerade bei Jugendlichen eine große Rolle. Salafistengruppen präsentieren sich selbst als starke und selbstbewusste Gemeinschaft. Das sind Attribute, nach denen sich Jugendliche in sozialen Brennpunkten sehnen; mehr als solche, die in behüteten gutbürgerlichen Vierteln aufwachsen. Das Ass im Ärmel der Salafisten ist, dass sie potent und energisch auftreten. Sie sind die Starken, die Aktiven. Und: Sie sind im Gegensatz zu den großen muslimischen Verbänden nicht defensiv, sondern aggressiv. Jugendliche mit muslimischem Migrationshintergrund kennen aus ihrem Umfeld nur die rechtfertigende Haltung.

          „Die Gebete in den Ditib-Moscheen sind Rentnerveranstaltungen“, sagt El-Mafaalani. Umso mehr die großen islamischen Verbände in der Defensivfalle seien, desto schlechter würde ihre Position gegenüber Jugendlichen.

          NRW versucht mit dem Präventivprogramm „Wegweiser“ Jugendliche aufzufangen, die sich zu radikalisieren drohen. Das Innenministerium berichtet von über tausend Kontakten seit Beginn des Programmes und 160 Fällen, in denen die Sozialarbeiter „sehr intensiv“ mit den Jugendlichen zusammen arbeiten.

          Für diejenigen, die bereits in der Salafistenszene gefestigt sind, gibt es Aussteigerprogramme. Aktuell nehmen daran 30 Personen teil. Die sozialen Probleme wie Arbeitslosigkeit und die damit verbundene Perspektivlosigkeit sowie die vielen Problemviertel im Ruhrgebiet schaffen indes ein gefährliches Klima, das Hasspredigern leicht in die Hände spielt. Präventiv- und Aussteigerprogramme können nur ein Teil der Lösung sein.

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