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Fraktur : Jetzt ist schon wieder was passiert

In der bunten Republik: Friedlicher Böller (in Niedersachsen) Bild: dpa

Wieder ist in der Silvesternacht wo wer beleidigt, belästigt, beschossen oder angetanzt worden. Was läuft falsch in unserem Land?

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          Jetzt ist schon wieder was passiert – so fangen nicht nur die Krimis von Wolf Haas an, sondern auch die Jahre in Deutschland. Weil nämlich in der Silvesternacht wieder wo wer beleidigt, beschossen oder angetanzt wurde. Das halbe Land begibt sich dann auf die Spur der – mutmaßlichen – Täter und ih­rer – mutmaßlichen – Motive. Früher waren alle Deutschen Bundes­trainer, heute sind alle Christian Pfeiffer.

          Timo Frasch
          Politischer Korrespondent in München.

          Wie bei der Partnersuche geht man natürlich erst mal nach dem Optischen. Die Täter seien junge Heranwachsende gewesen, „größtenteils mit Migrationshintergrund“. sagte zu Wochenbeginn ein berlinernder Feuerwehrmann im ZDF. Clan-Mitglieder? Konnte eigentlich nicht sein. Babo Arafat Abou-Chaker hatte ja Fotos von seinem Urlaub in Dubai gepostet, und der Sohn vom Chef des Remmo-Clans hielt ein flammendes Plädoyer für die Feuerwehr.

          Trotzdem schien der Feuerwehrmann glaubwürdig, schließlich heißt er Baris Coban. Überhaupt wurden zuletzt viele Leute mit Migrationshintergrund als Kronzeugen aufgefahren (Ahmad Mansour!). Verbirgt sich dahinter ein rassistisches Stereotyp, nach dem Motto: Die wissen, wie ihresgleichen tickt? Es sieht je­denfalls so aus, als habe Coban recht gehabt. Um die Worte der Stuttgarter Polizei zu bemühen, als 2020 junge Menschen auf dem dortigen Schlossplatz ihrem Übermut freien Lauf ließen: „Letztendlich war es ein bunter Mix über den Globus.“

          Begriffliche Exaktheit ist unheimlich wichtig

          Damit sind freilich noch nicht alle Fragen geklärt. Etwa die, wie hoch der Ausländeranteil der Festgenommenen sein muss, damit eine Migrationsdebatte losgetreten werden darf. Was die Berliner Nacht betrifft, ist das besonders schwierig zu klären. Zwar hatte die Mehrzahl der (wahrscheinlich auch durch die Pandemie verunsicherten) Krawall­ma­cher einen Migrationshintergrund, aber nach Nationen aufgeschlüsselt war die größte Gruppe eben doch deutsch. Aber was heißt hier deutsch? Was ist mit deutsch-libanesischen Doppelstaatsbürgern? Wann fangen die an, Deutsche zu sein, und legen ihr Libanesischsein ab? Wenn sie sich nichts zuschulden kommen lassen? Und wenn doch: Werden sie dann wieder libanesisch? Und waren nicht auch biodeutsche Klima-Chaoten oder gar Nazis unter den teils ver­mummten Marodeuren?

          Jedenfalls gibt es Spekulationen darüber, ob sich Nazis in die Einwanderungsdebatte geschlichen haben. Nachdem Jens Spahn die „ungere­gelte Migration“ als Problem ausgemacht hatte, warf ein Journalist, der inzwischen zur „Letzten Generation“ gewechselt ist, auf Twitter die Frage auf: „Darf man Jens Spahn eigentlich auch einen Nazi nennen?“ Er stellte klar: „Ich meine selbstverständlich nicht Nationalsozialisten, sondern Na­zis im Sinne von: Nazis raus.“

          Begriffliche Exaktheit ist un­heimlich wichtig, um in der Debatte vo­ranzukommen. Das dachte sich wohl auch das LKA Berlin und brachte einen Leitfaden heraus, in dem zum Zweck der Antidiskriminierung emp­fohlen wird, im kriminellen Kontext statt „südländisch“ „westasiatisch“ zu sagen. Ehrlich ge­sagt denken wir bei „südländisch“ eher an Copacabana als an Kobanê. Und bei „westasiatisch“ zum Beispiel an Qatar. Und da gab es während der gesamten Fußball-WM nicht einen Krawall, obwohl ganz viele Ausländer im Land waren.

          Liegt es also gar nicht an den Ausländern, sondern an Deutschland? Oder gar an den jeweiligen Städten? In Paderborn etwa soll es an Silvester recht ruhig gewesen sein. Oder sind Alter, Geschlecht und Temperament ents cheidend? Schließlich wa­ren die Randalierer überwiegend jun­­ge Männer, womöglich aus der „Event- und Partyszene“, um neuerlich eine Analyse aus Stuttgart in Er­innerung zu rufen. Wahrscheinlich ist noch sehr viel Dunkelfeldforschung nötig, wobei man sie, man denke an „Schwarzfahrer“, nicht mehr so nennen sollte. Das Wichtigste aber wäre, die Politiker würden wieder raus auf die Straßen ge­hen, zu den Menschen, um zu wissen, was los ist im Land, gerade an Silvester. Christine Lambrecht, die in Berlin unsere Werte am Hindukusch verteidigt, hat vorgemacht, wie es geht.

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