Fußball als politische Plattform : Deutschlands zarter Patriotismus
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Ein Herz für Deutschland Bild: dpa
Fußball war immer auch Politik, und seit 1954 verbreiten die deutschen Staatsoberhäupter und Regierungschefs: Vor uns muss keiner Angst haben.
Schließt sich hier ein Kreis? Vom Wir-sind-wieder-wer-Titel 1954 über den Sieg 1974 zur saturierten Zeit der deutschen Teilung und dem Triumph im Jahr der deutschen Einheit 1990 bis hin zu 2014. In welche Zeit fällt dieser Sieg? Die französische Zeitung „Le Parisien“ schreibt: „Deutschland ist nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht, sondern auch in Sachen Fußball eine Supermacht. Das Land hat es geschafft, ein tadelloses System aufzubauen - mit finanziell gesunden Klubs und der entsprechenden Ausbildung.“ Wirtschaftlich stark, finanziell gesund - und das so ziemlich als einziges Land in Europa. So steht Deutschland heute da. In einer gefährlichen Lage, wie manche meinen.
Doch von üblem Nationalismus keine Spur. Das war allerdings schon 1990 so. Die Grünen-Abgeordnete Antje Vollmer hatte in der Sitzung des Bundestages zur Ratifizierung des Staatsvertrages mit der DDR am 21. Juni vorausempfunden, wie diese Mannschaft auf Deutschland und die Welt wirken könnte: „Wer den deutschen Fußballern in diesen Tagen zuschaut, der verliert - wie auch ich - irgendwie die Angst vor den Deutschen. Sie spielen nämlich nicht nur gut und erfolgreich; sie spielen auch irgendwie schön und irgendwie richtig emanzipatorisch.“
Also wie heute? Doch früher war auch nicht alles schlechter. So vermerkt der stenographische Bericht nach Vollmers Beitrag nicht nur allgemeine Heiterkeit, sondern auch den Zwischenruf von Wolfgang Bötsch (CSU): „Fritz Walter hat 1954 auch schön gespielt.“ Auch Bundespräsident Joachim Gauck schlug jetzt in Rio in der Mannschaftskabine als Zeitzeuge noch einmal den Bogen zurück zu den Weltmeistern von 1954, deren Sieg er damals am Radio verfolgt habe.
„Der Staat muss im Hintergrund bleiben“
Keine Angst vor Deutschland - diese Botschaft haben die deutschen Staats- und Regierungschefs seit 1954 ausgesendet. Bundespräsident Theodor Heuss sagte auf der Siegesfeier zum WM-Sieg von Bern: „Aus Ihrem erfreulichen Sieg haben manche Leute ein Politikum gemacht. Wir wollen die echten Werte nicht verschieben lassen. Der Sinn des Sports ist Fairness, und Sie alle haben fair gekämpft, ebenso wie Ihre Gegner.“
Präsident Walter Scheel hob 1974 hervor, internationale Sporterfolge würden nicht die Qualität einer Gesellschaft dokumentieren. Andererseits dürfe man den Leistungssport nicht verketzern oder brüskieren. „Beim Leistungssport hat der Staat im Hintergrund zu bleiben, denn der einzelne oder die Mannschaft hat gewonnen.“ Und Richard von Weizsäcker erinnerte 1990 noch in der Endspielstadt Rom an den Gedanken der Fairness und an die Gleichrangigkeit der Mannschaften. Schon vor dem Endspiel meinte Weizsäcker, die deutsche Mannschaft strahle Harmonie aus und habe einen „guten Geist“. Sie sei die „körperlich und charakterlich beste Mannschaft“ seit 1974. Auch Gauck hob jetzt in der Kabine von Rio hervor, die Mannschaft sei noch besser als die von 1954.
Das zeigt zum einen: Auch das jeweilige Staatsoberhaupt ist immer nur einer von achtzig Millionen Bundestrainern. Zum anderen: Der Staat bleibt eben nicht im Hintergrund. Es geht um ein nationales Ereignis, nicht nur für das Gastgeberland. Bundeskanzler Helmut Kohl sagte 1990 in der Mannschaftskabine: „Ich bin stolz auf diese Mannschaft.“ Dieser Gewinn der Weltmeisterschaft sei ein „Sieg des Mannschaftsgefühls und ein Triumph der Kameradschaft“. Und an die Spieler gerichtet: „Sie haben unser Land phantastisch vertreten.“ Dass Kanzler und Bundespräsident in Begleitung von zehn Ministern in die Ewige Stadt gereist waren, zeigt eines: Es war ein „Staatsbesuch“ bei teuren Aushängeschildern.
Gehaftet wird im Guten wie im Schlechten: Als die französische Nationalmannschaft vor vier Jahren in Südafrika in der Vorrunde scheiterte und auseinander brach, versprach Staatspräsident Sarkozy, im Fußballverband aufzuräumen und wieder bei null anzufangen. In der Opposition hieß es, der Schiffbruch der französischen Mannschaft sage etwas über die Schwächen Frankreichs aus, über ein Gesellschaftsmodell, in dem alles nur ums Geld gehe.
Die Gladiatoren, obwohl oft gar nicht mehr im Heimatland tätig, gelten gleichwohl als dessen Botschafter. Nie geht es nur um Sport. Der Sport ist immer auch Kulisse. Da sollen Tugenden präsentiert werden, Stolz, Kampfkraft, aber eben auch die Botschaft: Wie stark wir auch sein mögen - vor uns muss keiner Angst haben. Dieses Motto der deutschen Politik seit dem Zweiten Weltkrieg ist bisher erfolgreich vermittelt worden. Auch 2014.
Anmerkung der Redaktion: Im Titel des Beitrags haben wir auf Anregung unserer Leser und nach einer nochmaligen Diskussion den Begriff Nationalismus durch Patriotismus ersetzt.