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Nach dem Kölner Urteil : Strafbare Beschneidung

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Chirugische Instrumente für eine jüdische Beschneidungs-Zeremonie: Ein harmloser Eingriff? Bild: dpa

Eine Kultur oder eine Religion, die eine regelmäßige Körperverletzung von Minderjährigen im Programm hat, steht in einem Dauerkonflikt mit wesentlichen Zielen der Verfassung eines freiheitlichen und säkularen Staates.

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          Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“ Ernst-Wolfgang Böckenfördes konstitutiver Satz muss neu gelesen werden, denn das Kölner Landgericht hat der Justiz wie der Politik einiges zum Nachdenken gegeben.

          Im 63. Jahr des Grundgesetzes wird gerichtlich manifest, dass es verschiedene Arten des „Nicht-Garantieren-Könnens“ gibt: Der Staat lebt von Voraussetzungen, die er nicht garantieren kann im Sinne von nicht zu garantieren vermag, aber er lebt auch von solchen, die er nicht garantieren wollen kann, vielleicht sogar überhaupt nicht garantieren darf. Dazu gehören - folgt man dem Kölner Gericht - wohl solche religiösen Traditionen, die gerade jene Rechtsgüter verletzen, zu deren Garantie der moderne Staat in historischer Ablösung von allerlei Gottesstaatvorstellungen überhaupt geschaffen wurde. Dazu gehört die körperliche Unversehrtheit jeder Person. Dazu gehört folglich der Schutz vor Beschneidungen im Kindesalter aus religiösen Gründen.

          Um es von vornherein zu sagen: Der freiheitliche, säkularisierte Staat hätte - in einem ziemlich ahistorisches Gedankenspiel - grundsätzlich das Recht, etwa zum Schutz vor schwerwiegenden Krankheiten oder deren Übertragung die Beschneidung von Jungen seiner Staatsangehörigkeit gesetzlich vorzuschreiben, auch wenn er sich dann der Überprüfung durch das eigene Verfassungsgericht sowie den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und der internationalen politischen und medialen Kritik stellen müsste.

          Aus diesem Recht folgt aber nicht das Recht, die Beschneidung von Jungen aus religiösen Gründen zuzulassen, denn der Staat kann genauso wenig wie die religiös verpflichteten Eltern den Verlust eines angeborenen Körperteils wiedergutmachen, wenn der herangewachsene Junge von den religiösen Bekenntnisses seiner Eltern nichts wissen will. Die Weltgemeinschaft hat im Falle der Beschneidung von Mädchen bewiesen, dass der Elternwille oder kulturelle Motive als Rechtfertigung einer unheilbaren Körperverletzung nichtig sind.

          Staat darf nach eigenen Maßstäben entscheiden

          Zusammengefasst: Die Werteentscheidung des (an völkerrechtliche Normen gebundenen) Staates hat Vorrang vor den Werteentscheidungen von Glaubensgemeinschaften und ist im Falle eines Wertekonfliktes keinerlei transzendentalen Überordnungen unterworfen.

          Daraus folgt, dass der Staat in einem Konflikt zwischen den Werten Religionsfreiheit einerseits und körperlicher Unversehrtheit seiner Bewohner andererseits allein nach seinen eigenen Maßstäben entscheiden darf und letztlich muss, wenn dieser Konflikt nicht anders zu lösen ist.

          Schutz des Kindes hat Vorrang

          Brennend wird diese Frage wegen der möglichen Weiterungen. Die Beschneidung ist aus der Sicht der jeweiligen Religionen eine Auszeichnung. Akzeptiert der Staat jedoch diese nicht wieder ungeschehen zu machende Verletzung des menschlichen Körpers, so müsste er auch hinnehmen, wenn aus religiösen Gründen eine Verletzung als Strafe verhängt wird - oder er müsste sich die Entscheidung darüber anmaßen, wann religiös gesteuerte Körperverletzungen gerechtfertigt und wann sie ungerechtfertigt sind.

          Mit dem verfassungsrechtlich verankerten Erziehungsrecht der Eltern hat das nichts zu tun, denn dieses ist grundsätzlich auf den Schutz des Kindes zu richten. Dieser Staat müsste auch einschreiten, wenn er Kenntnis erhielte, dass Eltern aus kulturellen Gründen die Füße ihrer Mädchen zu Klumpfüßen schnüren oder deren Ohrläppchen dauerhaft langziehen. Eine Kultur oder eine Religion, die eine regelmäßige Körperverletzung von Minderjährigen, insbesondere von zur persönlichen Abwehr Unfähigen im Programm hat, steht in einem Dauerkonflikt mit wesentlichen Zielen der Verfassung - und zwar umso tiefgreifender, je freiheitlicher und säkularer der Staat ist.

          Eine schwierige schiedliche Lösung

          m Falle der Beschneidung von minderjährigen Kindern jüdischer oder muslimischer Eltern aus nichtmedizinischen, religiösen Gründen ließe sich der Konflikt zwischen Staat und Religionsgemeinschaft grundsätzlich dadurch auflösen, dass die Eltern auf die Beschneidung bis zur Volljährigkeit verzichten und es ihren Söhnen anheimstellen, sich mindestens nach dem 12. oder nach dem 18. Geburtstag zu entscheiden.

          Dass eine solche Regelung diese beiden Weltreligionen in unterschiedlichen Maße trifft, fällt nicht auf den Staat zurück. Eine andere schiedliche Lösung gibt es für den säkularen Rechtsstaat nicht, auch wenn er seit Jahrzehnten eine Stellungnahme zu vermeiden versuchte.

          Das Wesen eines Staates beruht jedoch nicht allein auf seinem Recht, sondern eben auch auf den von Böckenförde hervorgehobenen Voraussetzungen, wozu nicht nur die real existierenden Bewohner, sondern auch die geschichtlichen Prägungen gehören. Also wird Deutschland, wenn die Tendenz des Kölner Urteils allen Überprüfungen standgehalten hat, einen modus vivendi mit den beiden betreffenden Weltreligionen suchen.

          Am Ende könnte eine weitere Anwendung der Kompromissformel „rechtswidrig, aber straffrei“ stehen. Doch im Unterschied zu abgetriebenen Föten können die nach ihrer Geburt beschnittenen Kinder mit guten Gründen gegen den Staat klagen, der die Verletzung ihrer kleinen Körper geduldet hat. Die Verjährungsfrist einer solcher Tat wird genauso lang sein müssen wie bei Kindesmissbrauch.

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