Muslime in der CDU : Politischer Islam mit Machtanspruch
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Muslime in der CDU: Dieses Logo ist allerdings verfremdet. Bild: F.A.Z.
Sie sind jung, sie sind türkischstämmig, sie vertreten einen selbstbewussten Islam, der in der Gesellschaft eine starke Stimme haben will. Und sie sind in der Union. Ihre Initiative ist allerdings umstritten.
Kaum war das Bündnis gegründet, da gab es schon Ärger. Zum Auftaktabend von „Muslime in der Union“ waren etwa dreißig Leute gekommen, CDU-Mitglieder von der Basis. Die Veranstaltung in Köln begann mit dem Gebetsruf. Ein Funktionär aus Bremen stellte das Konzept vor: „Da kommen Menschen zusammen, die sich im konservativen, sunnitischen Islam verorten.“ Eine Christdemokratin mit Kopftuch übermittelte ein „Grußwort“ von Generalsekretär Peter Tauber, der seine Unterstützung zugesagt habe und das Bündnis „klasse“ finde. Die Initiative sei nötig, weil die Armenienresolution des Bundestages das Vertrauen vieler türkischstämmiger Menschen in die deutsche Politik geschwächt habe. Das war im vergangenen Sommer.
Ein Fernsehteam berichtete hinterher, dass sich an jenem Abend Erdogan-Anhänger versammelt hätten. Nicht eingeladen worden seien liberale Erdogan-Kritiker und muslimische Bundestagsabgeordnete, die für die Armenienresolution gestimmt hatten – wie etwa Cemile Giousouf. Der Sprecher des Bündnisses, Cihan Sügür, wird in dem Bericht von „Report Mainz“ folgendermaßen zitiert: „Was heißt Erdogan-nah? Hier finden sich die konservativen Muslime zusammen. Punkt.“ Einige Muslime in der CDU seien deswegen nicht eingeladen worden, weil sie keine „Credibility“ hätten, keine Glaubwürdigkeit unter Türkischstämmigen. Es wäre für das Bündnis „eine Totgeburt, wenn ich jetzt anfangen würde, Leute, die nicht die Credibility haben, da einzuladen“.
„Eher konservative Kreise der Community“
Nach dem Bericht distanzierte sich Tauber und sagte, er habe gar kein „Grußwort“ übermittelt. Die CDU sei offen für Menschen aller Religionen und Konfessionen. „Wer aber diese Offenheit dazu nutzt, andere auszugrenzen oder sich über andere zu stellen, hat den Unionsgedanken nicht verstanden. Was alle Unionsmitglieder eint, ist die Loyalität zu Deutschland.“
Im Herbst sprach Sügür mit der „Islamischen Zeitung“ über seine Initiative. Da sagte er: „Wir treten an für eine positive Gegenöffentlichkeit.“ Zu lange schon sei die Deutungshoheit über den Islam Extremisten überlassen worden. Die Mehrheit der Muslime bleibe ungehört. Er wolle das ändern. Zur ersten Veranstaltung habe man „eher konservative Kreise der Community“ eingeladen. Aber: „Das unter ,Erdogan-Anhänger‘ zu subsumieren, ist nichts anderes als Stigmatisierung.“
Auch als Muslim in der Partei willkommen
Cihan Sügür legt seine gefütterte osmanische Ledermütze auf den Tisch. Er ist überzeugt davon, dass der Islam Deutschland künftig am stärksten verändern wird. „Christentum, Judentum, das ist schon alles da.“ Aber der Islam müsse sich erst noch entwickeln. Tausend Jahre Kirchengeschichte hole man nicht in ein paar Jahren auf. Sügür kommt von der Arbeit, er trägt einen schwarzen Anzug mit Krawatte. Er ist 26, Betriebswirt und Manager in einem japanischen Elektronikkonzern. Er ist der Erste in seiner gesamten Verwandtschaft, der studiert hat. Draußen vor dem Café am Hamburger Jungfernstieg liegt die Binnenalster. Sügür ist gerade erst in die Stadt gezogen, davor hat er in Frankfurt gearbeitet.
Vor zwei Jahren ist er in die CDU eingetreten. Seine Leute verstanden das nicht. Der Vater ist Schweißer, die Mutter arbeitet am Fließband; sie leben in Dortmund-Mengede. Für Türken im Ruhrpott sei etwas anderes als SPD nicht vorstellbar, sagt Sügür. Auch er selbst habe erst mit der CDU gefremdelt. Das war für ihn die Partei, für die Deutschland „kein Einwanderungsland“ war, wie es unter dem Bundeskanzler Helmut Kohl noch im Koalitionsvertrag gestanden hatte. Eine Partei, die gegen die doppelte Staatsbürgerschaft Stimmung gemacht hatte – vor allem Roland Koch im Jahr 1999. Dann änderte sich etwas für Sügür. Als er studierte, stellte er fest, dass er der CDU in vielen Dingen zustimmte, in der Wirtschafts- und Rentenpolitik zum Beispiel. Und Generalsekretär Tauber, sagt er, habe ihm schließlich das Gefühl gegeben, als Muslim und Türke in der Partei willkommen zu sein.
Vermittler zwischen Muslimen und Nichtmuslimen
Kaum war er in die Partei eingetreten, verfolgte er sein wichtigstes Ziel: ein eigenes Netzwerk. Es gab schon ein Deutsch-Türkisches Forum in der Partei, doch das war zusammen mit anderen Nationalitäten in die „Union der Vielfalt“ übergegangen. Das wollte Sügür nicht: „Da fehlte mir eine klare Vision.“
Er sieht sich als Vermittler zwischen Muslimen und Nichtmuslimen. Die Konrad-Adenauer-Stiftung hat ihn in ihre „Young Muslim Leaders-Delegation“ aufgenommen, ein Programm für junge, aufstiegsorientierte Muslime. Sügür ist gut vernetzt, und er hat einen einflussreichen Freund: Mehmet Alparslan Celebi. Dessen Vater hat den Atib-Islamverband gegründet, früher war er einflussreiches Mitglied der rechtsextremen „Grauen Wölfe“ in der Türkei und wurde nach Europa geschickt, um dort Strukturen aufzubauen. Der Sohn, Mehmet, ist stellvertretender Vorsitzender im Zentralrat der Muslime, sitzt im Vorstand der Atib – und ist CDU-Mitglied. Auch Celebi beruft sich auf Tauber: Der habe ihn in den hessischen Landesvorstand der Jungen Union eingeladen, damit er sich für die Vielfalt in der Partei einsetze.
Eigenes Bündnis mit Regeln
Sügür und Celebi wollten etwas Eigenes schaffen, ein eigenes Bündnis, und sie definierten die Regeln. Sügür sagt: „Es müssen CDU-Mitglieder mit Stallgeruch sein.“ Stallgeruch, das bedeutet hier nicht Erfahrung im Ehrenamt an der Parteibasis, sondern: „Sie müssen eine muslimische Erziehung genossen haben, in einem der vier Dachverbände in Deutschland, die die Muslime vertreten. Damit nicht an den Glaubensgrundsätzen des Islam gerüttelt wird.“ Diese Verbände sind: Ditib, Zentralrat der Muslime, zu dem auch die Atib gehört, der Islamrat mit der islamistischen Milli Görus sowie der Verband der Islamischen Kulturzentren.
Allerdings vertreten sie alle zusammen nur ein Fünftel der Muslime in Deutschland. Achtzig Prozent sind anderswo oder gar nicht organisiert. Das heißt noch lange nicht, dass sie an den Grundsätzen des sunnitischen Islams rütteln würden: am Glauben an Allah und seine Propheten, an die heiligen Bücher, die Engel, die Wiederauferstehung und die göttliche Vorsehung.
Muslimische Jugendgruppen kaum voneinander zu trennen
Sügür war Jugendleiter in einer Moschee des Ditib-Verbandes in Dortmund. „Daher habe ich meinen Stallgeruch.“ Er sagt, bei den Islamverbänden gebe es zu viele Ansprechpartner. Irgendwann würden nur noch ein oder zwei große übrig sein. Die Jugendgruppen seien ja jetzt schon kaum noch voneinander zu trennen. Für Muslime der dritten und vierten Generation von Einwanderern mache es gar keinen Unterschied mehr, ob man sich in einer Moschee der Ditib, der Atib oder von Milli Görus trifft.
Diese Generation hat auch ein übergeordnetes Netzwerk geschaffen, die „Young Ummah“. Ummah heißt die Gemeinschaft der Muslime. Sügür hat den Ableger in Dortmund mitgegründet. Es ist ein Männerbündnis. Frauen sind zwar auch eingeladen, wie Sügür betont. Auf den Fotos von den Veranstaltungen im Internet sind aber keine zu sehen. Die „Brüder“ kommen aus verschiedenen Verbänden, sie hören einmal im Monat Vorträge zum Islam, Sügür und Celebi sind auch schon als Redner aufgetreten. Außerdem treffen sie sich zum Grillen im Park, spielen Fußball und rezitieren Koranverse.
Sügür wollte in die Türkei auswandern
Als Sügür sich noch nicht in der Politik engagierte, sagte er in einer Reportage über junge Deutschtürken, dass er in die Türkei auswandern wolle. Als Grund nannte er den Brandanschlag auf eine türkische Familie in Bremen, den Mord an einem türkischen Kioskbesitzer in Dortmund, die NSU-Morde. „Das alles passiert in Deutschland, das ist wahr, und da ist es doch ein natürlicher Instinkt von mir, dass ich hier weg will.“ Das war vor vier Jahren. Heute hat er seine Haltung verändert. Er hat die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen und die türkische dafür abgegeben. Jetzt spricht er nicht mehr nur für sich, sondern sieht sich als Interessenvertreter aller Muslime in Deutschland.
Als vor einem Jahr ein Bus mit Flüchtlingen in Clausnitz belagert wurde, veröffentlichte er ein wütendes Videostatement: „Es tut mir wahnsinnig leid, aber ich habe immer mehr das Gefühl, dass sich Sachsen zum Schandfleck Deutschlands entwickelt.“ Man müsste „die Leute in Sachsen“ in Integrationskurse schicken. Die nächsten Pogrome stünden bevor.
Änderung der Strategie
Sügür nennt sich „Social Media Aktivist“, die Wirkung seiner Videos im Internet ist ihm bewusst. Er steht gerne als Ansprechpartner zum muslimischen Leben in Deutschland zur Verfügung, schreibt Artikel darüber, warum die muslimischen Wähler „die Rettung der CDU“ sein könnten. Er wirbt in Streitgesprächen im Fernsehen und im Internet für den Doppelpass und erklärt, warum türkischstämmige Deutsche immer noch diskriminiert würden. Er sagt nur dann ab, wenn er zur Politik des türkischen Regimes reden soll, wie kurz nach dem gescheiterten Putsch in der Türkei. Da wollte ihn eine Talkshow einladen. Doch er will sich in der Öffentlichkeit dazu nicht positionieren.
Nach der Kritik an seinem Bündnis „Muslime in der Union“ hat Sügür seine Strategie geändert. Heute würde er Christdemokraten wie Cemile Giousouf, die im Bundestag für die Armenienresolution gestimmt hat, nicht mehr von Veranstaltungen ausschließen. Er würde sie einladen und ihr sagen, dass sie den Bezug zur muslimischen Basis verloren habe. „Was hat sie für die Muslime in Deutschland getan?“, fragt er. Und gibt selbst die Antwort: „nichts.“
Liebevolles Elternhaus und der Wille zum Erfolg.
Ein Freund von ihm hat vor ein paar Jahren einen Kurzfilm über Sügürs Leben gedreht, für einen Videowettbewerb zum Thema „Erfolgsgeschichten“, den die Deutsche Islam Konferenz ausgeschrieben hatte. Der Film wurde vom Bundesinnenministerium ausgezeichnet. Darin erzählen Studienfreunde von ihrem ehrgeizigen und eigensinnigen Freund Cihan.
Ein Deutschtürke, der ihn noch von früher kennt, berichtet, wie Sügür beinahe in die Kriminalität abgedriftet wäre. Im Gegensatz zu ihm selbst habe Sügür den Absprung geschafft. Dann stellt der Erzähler die Frage, welchen Einfluss der Islam auf Sügürs Leben hatte. Aber das wird danach überhaupt nicht aufgegriffen. Die Religion kommt nicht vor. Stattdessen geht es darum, was ihn wieder auf die richtige Bahn gebracht und seinen Aufstieg befeuert hat: ein liebevolles Elternhaus, der Wille zum Erfolg.
Verbund könnte Entwicklung des Islam voranbringen
Dabei ist das eine entscheidende Frage, schließlich steht er für ein Netzwerk, das Muslime ausschließt, die nicht den eigenen Verbänden angehören oder eine andere Meinung vertreten. Als wir uns im U-Bahnhof verabschieden, bevor jeder zu seinem Gleis geht, äußert er noch den „Appell“, der Artikel solle nicht in dieselbe Kerbe schlagen wie die Berichterstattung über sein Bündnis im letzten Jahr. Er solle etwas Konstruktives zur Debatte beitragen.
Versuchen wir es. Wenn es ihm um einen spirituellen Islam geht, bei dem ethische Fragen im Vordergrund stehen und die Religion Menschen verbindet, anstatt sie zu trennen, dann ist das Bündnis eine gute Sache. Dann kann es die Entwicklung des Islam in Deutschland voranbringen. Wenn er aber agiert wie ein Lobbyist der Islamverbände, dann ist die Religion bloß ein Label, mit dem er Politik macht.