Mollath kommt frei : Die juristische Lupe zur Seite gefegt
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Gustl Mollath: Beging er Taten, die es rechtfertigen, ihm seine Freiheit zu nehmen? Bild: REUTERS
Gustl Mollath, der bislang berühmteste Psychiatriepatient der Republik, erreicht sein Ziel: Das Oberlandesgericht Nürnberg ordnet einen neuen Prozess an. Mollath ist nach sieben Jahren Haft frei.
Auch gerichtliche Entscheidungen haben ihre Dramaturgie. Nachdem im vergangenen Monat das Landgericht Regensburg die Wiederaufnahme des Falles Gustl Mollath abgelehnt hatte, war zwar mit einer raschen Entscheidung der Beschwerdeinstanz, des Oberlandesgericht Nürnberg, zu rechnen gewesen. Denn die bayerische Justiz musste fürchten, dass ihr das Verfahren durch das Bundesverfassungsgericht, das Mollath angerufen hat, aus der Hand genommen wird. Eine Stellungnahme des Generalbundesanwalts an das Bundesverfassungsgericht erhöhte noch den Druck; der Generalbundesanwalt kam zu der Wertung, es sei bei einer Überprüfung der Unterbringung Mollaths in einer psychiatrischen Klinik nicht hinreichend belegt worden, welche Gefahren von ihm ausgingen.
Es überraschte dann aber doch, dass das Oberlandesgericht Nürnberg nicht einmal zwei Wochen brauchte, um eine neue Hauptverhandlung anzuordnen und zu verfügen, dass Mollath unverzüglich auf freien Fuß zu setzen sei. Die Annahme, der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts habe sich der öffentlichen Kritik, die wie ein Tsunami über die Justiz fegte, gebeugt, greift allerdings zu kurz. Die Nürnberger Richter verfuhren vielmehr nach den Regeln der juristischen Kunst, in dem sie einen der vielen Punkte, die gegen das Urteil des Jahres 2006, das die Unterbringung Mollaths verfügte, sprechen, herausgriffen und für stichhaltig befanden: Ein Attest, in dem Mollaths Ehefrau im Jahre 2002 Verletzungen bescheinigt worden waren, die ihr angeblich ihr Mann zugefügt habe. Damit komme es auf andere Gesichtspunkte nicht mehr an, heißt es in der Beschwerdeentscheidung lapidar.
Das Attest spielte eine wichtige Rolle in dem Verfahren des Jahres 2006. Vorausgegangen war ein Zerwürfnis zwischen den Eheleuten Mollath, bei der mehr und mehr mit juristischen Mitteln gekämpft wurde. Gustl Mollath bezichtigte seine Frau, in Schwarzgeldschiebereien verwickelt zu sein; seine Frau zeigte ihn an, weil er sie im August 2001 geschlagen und misshandelt habe. Sie legte ein Attest einer Ärztin vor, das im Juni 2002 ausgestellt worden war. In der Hauptverhandlung des Jahres 2006 vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth wurde das Attest verlesen und im Urteil festgehalten, die in der ärztlichen Bescheinigung genannten Verletzungen stimmten mit den Angaben von Frau Mollath überein. Die Ärztin wurde im Prozess nicht gehört, Erst im Zuge der Wiederaufnahmeanträge wurde bekannt, dass die Unterschrift gar nicht von ihr stammte, sondern von ihrem Sohn, der als Arzt in ihrer Praxis gearbeitet hatte.
Andere Richter werden nun prüfen
Das Landgericht Regensburg, dass über die Wiederaufnahmeanträge der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung zu entscheiden hatte, kam dennoch zu dem Schluss, dass keine „unechte“ Urkunde vorliege. Zu diesem Zweck wurde das Attest mehrfach vergrößert, bis ein „i.V.“ zu erkennen war - ein „in Vertretung“. Das Oberlandesgericht Nürnberg wollte diese Art einer juristischen Mikroskopie nicht mitgehen. Bei Betrachtung des Attests in Originalgröße sei das „i.V.“ nicht zu erkennen, führen sie aus. Und sie lassen auch nicht gelten, dass es im geschäftlichen Verkehr zulässig ist, wenn ein Vertreter mit den Namen des Vertretenen unterschreibt. Bei einem Attest gehe es um „höchstpersönliche Wahrnehmungen“ eines Arztes; hier gebe es keine zulässige Stellvertretung. Da das Attest eine große Bedeutung im ersten Prozess gehabt habe, liege ein Wiederaufnahmegrund vor.