Mögliche Anzeige : Steht Seehofer zur Pressefreiheit?
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Worte und Taten: Einsatzwagen der Polizei am Sonntagabend in Stuttgart Bild: dpa
Bundesinnenminister Horst Seehofer will unmissverständlich klar machen, dass die Polizei auf ihn zählen kann. Er kündigte eine Strafanzeige gegen eine Kolumnistin der „Tageszeitung“ an. Dann schaltete sich die Bundeskanzlerin ein.
Am Freitag hatte Horst Seehofer noch eine Bitte an die Journalisten. In ihrer Berichterstattung sollten sie die zunehmende Gewalt gegen Polizisten in den Mittelpunkt rücken. „Wir müssen eine Debatte führen, dass man das nicht tut“, sagte der Bundesinnenminister zum Abschluss der Innenministerkonferenz in Erfurt. Erst kürzlich hatte das Bundeskriminalamt die neuen Zahlen über Gewalt gegen Polizisten präsentiert: Fast 70.000 Beamte wurden im vergangenen Jahr Opfer von Widerstandshandlungen und tätlichen Angriffen.
Die Bilder von brutalen Angriffen auf Polizisten in Stuttgart waren wie ein Beleg für Seehofers These: Man dürfe nicht nur über Rassismus in der Polizei, sondern man müsse auch über Gewalt gegen Polizisten sprechen. Einhellig verurteilten Politiker aller Parteien die Ausschreitungen. Regierungssprecher Steffen Seibert bezeichnete die Szenen in Stuttgart am Montag als „abscheulich“, sie seien mit nichts zu rechtfertigen. Er dankte der Polizei. Die Beamten sollten wissen, dass Millionen von Menschen hinter ihnen stünden.
Das sollte eigentlich auch Seehofers Botschaft sein, als er am Sonntag mit der „Bild“-Zeitung sprach. Doch der CSU-Politiker, zuständig für die öffentliche Sicherheit in Deutschland, wollte unmissverständlich klar machen, dass die Polizisten auf ihn zählen können. Und so kündigte er für den Montag eine Strafanzeige gegen Hengameh Yaghoobifarah an, die Kolumnistin der „Tageszeitung“, die in der vergangenen Wochen geschrieben hatte, Polizisten gehörten auf den Müll, „unter ihresgleichen“. „Eine Enthemmung der Worte führt unweigerlich zu einer Enthemmung der Taten und zu Gewaltexzessen, genauso wie wir das jetzt in Stuttgart gesehen haben“, kommentierte Seehofer diesen Schritt. Es ist die Argumentation, mit der er in der Vergangenheit die AfD für rechtsextreme Straftaten verantwortlich gemacht hatte. Doch anders ist die Lage nun, weil Seehofer strafrechtliche Konsequenzen für den Meinungsartikel einer Journalistin gefordert hatte.
Und so ging es in der Bundespressekonferenz am Montag mehr als eine halbe Stunde nicht um Gewaltexzesse gegen Polizisten und Konsequenzen nach den Ausschreitungen in Stuttgart. Vielmehr mussten sich die Sprecher der Bundesregierung fragen lassen, ob sie hinter früheren Bekenntnissen zur Pressefreiheit stünden, inwiefern sich Deutschland in diesem Punkt von China und Russland unterscheide, sogar, ob das Ansehen Deutschlands in der Welt nun Schaden erleide. Regierungssprecher Seibert gab bekannt, dass sich auch die Kanzlerin eingeschaltet habe: Es gebe „vertrauliche Gespräche“ zwischen Angela Merkel und Seehofer. Für Seiberts Verhältnisse ist das schon recht viel, normalerweise bestätigt er nicht einmal, dass es vertrauliche Gespräche gegeben hat. Seibert wiederholte ein ums andere Mal, welch hohen Stellenwert die Pressefreiheit für die Bundesregierung habe.
Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums teilte mit, dass noch nicht abschließend entschieden worden sei, ob die Strafanzeige tatsächlich gestellt werde – einen Zweifel, den Seehofer im Gespräch mit der „Bild“-Zeitung nicht einmal angedeutet hatte. Der Bundesinnenminister selbst sagte in Stuttgart, er wolle den Fall noch abschließend im Ministerium besprechen. Er sprach von einer „schwierigen Schnittstelle zwischen Pressefreiheit und Strafrecht“. Am Montagabend wollte sich Seehofer in seinem Haus mit seinen Fachleuten besprechen. Kommunikativ ist es zumindest eine Herausforderung, aus dieser Lage herauszukommen. Stellt Seehofer die Anzeige nicht, dürfte die Enttäuschung unter den Polizisten groß sein – das Gegenteil seiner Intention. Zudem würde es so aussehen, als habe die Kanzlerin ihn zurückgepfiffen. Stellt er sie trotzdem, dürfte sich die Debatte aus der Regierungspressekonferenz noch einige Zeit fortsetzen.
Verärgert über den Artikel
Seinen Vorstoß in der „Bild“-Zeitung hatte er mit seinen fachlichen Beratern im Bundesinnenministerium dem Vernehmen jedenfalls nicht abgestimmt. Die Überraschung im Haus soll groß gewesen sein, als die Zitate in der Welt waren. Auch deshalb, weil sich Ende vergangener Woche die Innenminister der Länder mit just dieser Frage befasst hatten. Natürlich waren die Dienstherren der Polizei verärgert über den Artikel in der „Tageszeitung“. Man war sich einig, dass die aktuelle Debatte über Polizeiarbeit eine Schlagseite habe. Auch deshalb veröffentlichten die Innenminister eine Solidaritätserklärung mit der Polizei. Über die Kolumne, so hieß es in Erfurt, habe man nicht allzu viel gesprochen, dem Artikel wollte man nicht mehr Ehre zuteil werden lassen als ihm gebühre. Der Vorschlag, Strafanzeige zu stellen, wurde abgelehnt.
Denn erfahrene Politiker konnte nicht überraschen, welchen Verlauf die Debatte nach Seehofers Ankündigung genommen hat. Vor einigen Tagen musste sich schon CSU-Generalsekretär Markus Blume nach massivem Protest dafür entschuldigen, dass er auf Twitter ein Bild der „taz“-Kolumnistin mit den Worten „Hengameh Yaghoobifarah hetzt in der taz. SIE will Polizisten als Abfall auf der Müllhalde entsorgen!“, veröffentlicht hatte. Und es liegt auch noch nicht lange zurück, dass eine Strafanzeige gegen Journalisten von Netzpolitik.org ein politisches Erdbeben ausgelöst hat, das zum Rücktritt des Generalbundesanwalts geführt hatte. Die Strafanzeige hatte Hans-Georg Maaßen gestellt, damals noch Verfassungsschutzpräsident.