Mit Handydaten gegen Corona : „Bleibt zu Hause! Wir kontrollieren euch“
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Verräterischer Begleiter? Eine Frau auf dem Bahnhof von Messina mit ihrem Smartphone Bild: Reuters
In Zeiten der Corona-Krise nutzen europäische Länder Telefondaten, um zu überprüfen, ob die Anordnungen befolgt werden. Aber dürfen die das?
Noch wurde in Deutschland keine Ausgangssperre verhängt. Die Aufforderung der Bundeskanzlerin, „wo immer das möglich ist“, auf Sozialkontakte zu verzichten, ist nach wie vor nur eine Aufforderung. Mit Blick auf Frankreich, Italien oder Österreich scheint es allerdings nur noch eine Frage der Zeit, bis daraus eine Anordnung wird. Wie aber sollte der Staat dann kontrollieren, ob sich die Bürger daran halten? Die Polizei allein würde das wohl nicht schaffen. Viele Länder diskutieren deshalb, welche technischen Möglichkeiten man nutzen könnte, um die Ausbreitung der Corona-Pandemie aufzuhalten – nicht nur im Zusammenhang mit Ausgangssperren.
Schon Anfang März hatte der Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, gesagt, er halte die Nutzung von Handydaten für „eine gute Möglichkeit, um Kontakte von Infizierten aufzuspüren“. Wieler selbst hatte aber auch zu bedenken gegeben, dass offen sei, wie eine Nutzung solcher Daten ethisch und rechtlich einzuordnen wäre. Am Mittwoch sorgte dann eine Meldung der Telekom für Schlagzeilen. Im Kampf gegen Corona habe das Unternehmen dem RKI Daten seiner Kunden kostenlos zur Verfügung gestellt, teilte eine Sprecherin mit. Derart umfangreiche Informationen habe man zuvor noch nie geteilt.
Das Tracking einzelner Personen ist nicht möglich
Es handelt sich um anonyme Standortdaten, anhand derer Bewegungsströme nachvollzogen werden können. Um die Anonymisierung zu gewährleisten, werden etwa bei der Erhebung mindestens 30 Datensätze zusammengefasst. Eine nachträgliche Personalisierung ist nicht möglich, ein sogenanntes Tracking Einzelner deshalb auch nicht. Die Telekom erhebt die Daten ohnehin; üblicherweise werden sie verkauft. Diese Praxis wurde seinerzeit vom Bundesbeauftragten für den Datenschutz begleitet, wie ein Sprecher dieser Zeitung sagte. Das Verfahren sei „komplett“ datenschutzkonform.
Auch die Weitergabe an das RKI hält der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber deshalb für „unbedenklich“. Vor allem unter den aktuellen Umständen spreche nichts gegen die Weitergabe zum Zweck des Gesundheitsschutzes, hieß es am Mittwoch in einer Mitteilung. Obwohl die Daten nicht individualisierbar sind, verspricht sich das RKI Erkenntnisse über den Erfolg bisheriger Maßnahmen. „Die Daten zeigen uns, ob insgesamt die Mobilität der Bevölkerung nachgelassen hat“, sagte Lothar Wieler am Mittwoch. Wenn Maßnahmen gar nicht umgesetzt würden, erkenne man das anhand der Daten.
Die Maßnahmen müssen verhältnismäßig sein
Sensibler als anonyme Standortdaten sind personalisierbare Daten, vor allem solche, die Auskunft über die Gesundheit geben. Wer derartige Informationen erhebe oder verarbeite, müsse sich der besonderen Verantwortung bewusst sein, teilte Ulrich Kelber schon vergangenen Freitag mit. Solange die Maßnahmen verhältnismäßig seien, stehe der Datenschutz der Infektionsbekämpfung aber nicht im Weg. „Denn die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger steht jetzt im Mittelpunkt.“ Mit dem RKI stehe man auch in Kontakt, was die Entwicklung bestimmter Apps zur Bekämpfung der Pandemie betreffe, sagte Kelber am Mittwoch. Während andere Staaten den Datenschutz gerade vernachlässigten, sehe er dafür in Deutschland keinen Grund; alle Lösungen ließen sich auch grundrechtskonform gestalten. Aus China, Südkorea und Israel wurde etwa bekannt, dass Infizierte gezielt per Handyortung überwacht werden.
Auch in Österreich hat das teilstaatliche Telekomunternehmen der Regierung in Wien Daten von Mobiltelefonen übermittelt, an denen Bewegungsmuster anonymisiert abzulesen sind. Die Regierung sollte damit ein Instrument an die Hand bekommen, mit dem der Erfolg ihrer Maßnahmen zu messen ist, Bewegungen im öffentlichen Raum und damit soziale Kontakte einzuschränken. Das Unternehmen gab an, es habe dies nicht auf Anforderung der Regierung getan, sondern von sich aus. Die Daten zeigten, dass die Österreicher ihren Bewegungsradius schon Ende vergangener Woche stark eingeschränkt haben. Die Bewegungsprofile hätten sich „sehr deutlich“ (um 40 bis 50 Prozent) reduziert, sagte eine A1-Sprecherin der Austria Presse Agentur.
Außergewöhnliche Maßnahmen in außergewöhnlichen Situationen
Die Opposition, die ansonsten bislang die einschneidenden Maßnahmen der konservativ-grünen Regierung weitgehend mitgetragen hatte, kritisierte dieses Vorgehen. Die sozialdemokratische SPÖ sprach von einem „massiven Grundrechtseingriff“, die rechte FPÖ warnte davor, Bürger- und Freiheitsrechte zu vernachlässigen, die liberalen Neos kündigten eine parlamentarische Anfrage an. „Außergewöhnliche Situationen mögen außergewöhnliche Maßnahmen benötigen, aber diese Maßnahmen dürfen nur in rechtsstaatlich einwandfreier Form getroffen werden“, hieß es seitens der SPÖ.
Ein Regierungssprecher versicherte, es seien keine individuellen Bewegungsprofile übermittelt worden. Es sei um einen Vergleich der gesamten Bewegungen zwischen vorigen Samstag und dem Samstag davor gegangen. Das sei gesetzeskonform und in der Datenschutzgrundverordnung geregelt. A1 bekräftigte, es ließen sich keinerlei Rückschlüsse auf den einzelnen Benutzer ziehen. Jedes Mobiltelefon bekomme eine für das Tracking automatisch zufällig generierte Nummer zugewiesen. All diese Nummern werden alle 24 Stunden frisch vergeben (also abermals anonymisiert). Damit sei es nicht möglich nachzuvollziehen, wohin sich die anonymisierten User über längere Zeiträume hinbewegen. Auch würden die Daten in „Zwanziger-Schritten“ geliefert. Das heißt, ablesbar ist nur, ob sich „bis zu“ zwanzig Benutzer bewegen (ab 21 Personen „bis zu vierzig“ und so weiter). Damit könne aber nicht ausgesagt werden, dass etwa drei Personen „von A nach B gehen“, so A1.
„Vollständig DSGVO-konform und TÜV-geprüft“
Das Vorgehen sei erprobt, „vollständig DSGVO-konform und TÜV-geprüft“. Die Technologie werde normalerweise eingesetzt, um die Bewegungsdaten kommerziell zu verwerten, beispielsweise um zu ermitteln, welche Sehenswürdigkeiten von Touristen dieser oder jener Herkunft angesteuert würden. Die Technologie werde in Europa von vielen unterschiedlichen Unternehmen angeboten und genutzt.
Auch Italien will sich die Erkenntnisse aus Telefondaten zunutze machen. „Vierzig Prozent der Leute sind noch immer unterwegs, das ist zu viel“, sagte Giulio Gallera, Gesundheitsminister der norditalienischen Region Lombardei, am Dienstagabend in Mailand. Und er versprach, man werde diese Zahl jetzt entschlossen nach unten drücken: „Bleibt zu Hause! Wir kontrollieren euch über die Handydaten.“
Kontrolle nach der Art von Big Brother?
In enger Kooperation mit den Betreibergesellschaften der Mobilfunknetze will die Regionalregierung in Mailand ermittelt haben, dass sich rund 60 Prozent der Personen an das für die Lombardei schon am 8. März verhängte Ausgehverbot gehalten haben. Genauer gesagt: Es wurde ermittelt, dass 60 Prozent der Mobiltelefone innerhalb der vier Wände geblieben sind oder sich nicht weiter als etwa 300 Meter von der Meldeadresse ihrer Besitzer entfernt haben.
Die Daten darüber, dass im Umkehrschluss 40 Prozent der Menschen beziehungsweise Handynutzer ihren Wohnort verlassen, sich innerhalb der Lombardei oder sogar über die Grenzen der Region hinaus bewegt haben, seien „in vollkommen anonymisierter Weise“ erhoben und ausgewertet worden. „Niemand kontrolliert euch nach Art von ,Big Brother‘“, versicherte Gallera. In Italien verfügen die Behörden über umfangreiche Befugnisse zum Überwachen von Mobilfunkdaten und auch zum direkten Abhören von Telefongesprächen. Die einschlägigen Gesetze wurden vor allem mit Blick auf die organisierte Kriminalität verabschiedet.
Offenbar ist die Regierung in Mailand – und mit ihr wohl auch die Zentralregierung in Rom – anhand der analysierten Mobilfunkdaten nach einer Woche landesweiter Ausgangssperre zu der Erkenntnis gekommen, dass der „Lockdown“ strenger durchgesetzt werden muss. Dazu hat das Innenministerium in Rom ein neues Formular veröffentlicht, mit dem man sich selbst die Befugnis zum Verlassen der eigenen vier Wände erteilt. Zusätzlich muss jetzt bestätigt werden, dass man nicht unter Quarantäne steht und auch nicht positiv auf das Virus getestet wurde. Falsche Angaben können mit bis zu zwölf Jahren Gefängnis geahndet werden.
Nach Angaben des Innenministeriums haben Polizei und Carabinieri vom 11. bis 16. März fast 840.000 Personen kontrolliert und dabei 35.000 von ihnen wegen Verstoßes gegen die Ausgangssperre angezeigt.