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Missbrauch in der Kirche : Marx deckte Benedikt

Reinhard Kardinal Marx während einer Pressekonferenz im Januar 2022 Bild: via REUTERS

Der Münchner Erzbischof war schon früh in die „Lügen“-Strategie Benedikts eingebunden und hat sie noch befördert – obwohl er das Gegenteil behauptet.

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          In der Kontroverse über die Glaubwürdigkeit des vormaligen Papstes Benedikt XVI. verwickelt sich nun auch der Münchner Erzbischof Reinhard Kardinal Marx in Widersprüche. Wie aus dem Missbrauchsgutachten der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) vom 20. Januar 2022 hervorgeht, war der vormalige Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz schon früh in die „Lügen“-Strategie des vormaligen Papstes Benedikt XVI. eingebunden und hat sie seinerseits noch befördert.

          Daniel Deckers
          in der politischen Redaktion verantwortlich für „Die Gegenwart“.

          Demnach behauptete Marx in einer Stellungnahme unter dem Datum des 5. November 2021 an die Kanzlei, nach seinem Kenntnisstand und seiner Erinnerung sei der damalige Erzbischof Joseph Kardinal Ratzinger im Jahr 1980 nicht an der Einstellung des Priesters beteiligt gewesen „und hat auch nicht an einer Sitzung teilgenommen, in der dies damals Gegenstand war“. Diese Darstellung deckt sich mit der Stellungnahme Ratzingers gegenüber der Münchner Kanzlei vom 15. Dezember 2021. Beide Texte sind in dem Gutachten als Faksimile beigefügt.

          Dass Ratzingers Behauptungen nicht der Wahrheit entsprechen, hat Benedikts Sekretär Georg Gänswein in der vergangenen Woche eingestanden. Nach dessen Darstellung sollen die wahrheitswidrigen Behauptungen über die Abwesenheit Ratzingers in dessen Stellungnahme gegenüber der Kanzlei auf ein „Versehen bei der redaktionellen Bearbeitung der Stellungnahme“ beruhen. Es handele sich bei den wahrheitswidrigen Einlassungen demnach nicht um Lügen, sondern um einen Fehler.

          Erst am Donnerstag hatte Marx in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ behauptet, er habe Ratzinger „weder in falscher Weise schützen noch ihm schaden" wollen. Er habe seinem Beraterstab gegenüber immer deutlich gemacht: „Hier wird die Wahrheit nicht verbogen, das machen wir nicht“, lies Marx sich zitieren.

          Marx war über Strategie im Bilde

          Unabhängig vom Wahrheitsgehalt dieser Aussage geht aus dem Gutachten hervor, dass Marx schon Anfang November über die Strategie des vormaligen Papstes im Bilde war, jede Beteiligung an der Übernahme des Priesters rundweg zu bestreiten. Tatsächlich ist Ratzinger in dem Protokoll der fraglichen Ordinariatssitzung vom 15. Januar 1980 nicht als abwesend vermerkt. Da während der Sitzung Sachverhalte mit Bezug zu dem Entzug der Lehrerlaubnis für den vormaligen Professorenkollegen Hans Küng zur Sprache kamen, die aus dem Kreis der Teilnehmer nur Ratzinger bekannt gewesen sein können, muss eine Anwesenheit des damaligen Erzbischofs als sicher gelten.

          Ungereimtheiten finden sich auch in Marxens Einlassungen über sein Wissen im Jahr 2010 hinsichtlich der Umstände, unter denen es 1980 zu der Übernahme des pädophilen Priesters gekommen war. Ausweislich seiner Stellungnahme gegenüber der Kanzlei vom November 2021 wollte er schon im März 2010 gewusst haben, dass Ratzinger in der fraglichen Sitzung nicht anwesend war. Die Pressestelle des Erzbistums stellte den Sachverhalt damals jedoch für jedermann nachlesbar so dar, dass Ratzinger sehr wohl an der fraglichen Sitzung teilgenommen hatte, über den späteren Einsatz des Priesters in der Seelsorge jedoch nicht mehr informiert wurde. 2010 war das erste Mal der Vorwurf aufgekommen, Ratzinger sei damals anwesend gewesen.

          In München hatte die Kanzlei WSW schon im Jahr 2010 ein Missbrauchsgutachten erarbeitet. Dieses war methodisch nicht so angelegt, dass es hätte veröffentlicht werden können, selbst wenn sich das Erzbistum als Auftraggeber später eines Besseren besonnen hätte. Personelle Konsequenzen zog Marx damals nicht. In der Zusammenfassung des Gutachtens, die im Dezember 2010 im Beisein Marxens öffentlich vorgestellt wurde, kamen indes alle Themen zur Sprache, die heute zu den „systemischen Faktoren“ gezählt werden, die sexuelle Gewalt im Raum der katholischen Kirche begünstigt hätten.

          In den Texten des „Synodalen Wegs“, der an diesem Donnerstag zu seiner dritten Vollversammlung zusammentritt, ist aber durchweg zu lesen, erst die MHG-Studie aus dem Jahr 2018 habe „in verstörender Vielfalt gezeigt (...), dass sexualisierte Gewalt (...) auch systemische Ursachen habe“. Tatsächlich hat sich das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK), das sich für die Speerspitze der Kirchenreform hält, für diese Themen bis vor wenigen Jahren nicht interessiert.

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