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Militärstrategie : Atom-U-Boote für die Ostsee

  • -Aktualisiert am

Ein deutsches Unterseeboot der Klasse 212A bei einem Einsatz auf See Bild: dpa

Deutschland verzettelt sich, statt sich gegen die wichtigsten sicherheitspolitischen Gefahren zu wappnen. Es bedarf einer klaren Strategie – und mancher Kehrtwende. Ein Gastbeitrag.

          4 Min.

          Deutschland soll mehr sicherheitspolitische Verantwortung übernehmen. Das fordern Bundespolitiker seit Jahren, vorzugsweise auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Doch wer danach fragt, was genau hinter diesem Mantra steckt, wie der Anspruch genau ausformuliert werden sollte, stößt häufig nur auf Wortblasen. Zu wessen Wohle soll denn Deutschland handeln? Was gilt es genau zu schützen, und wodurch wird unser Land bedroht? Und nicht zuletzt: Was heißt strategisches Denken?

          Deutschland ist heute ein Kernpfeiler der internationalen liberalen Ordnung. Durch den westlichen Verband ist seine staatliche Existenz begründet und gesichert. Sein vitales Interesse, im Extremfall verkörpert im Willen zum Kampf hierfür, liegt demnach im Erhalt dieser westlichen Ordnung. Daraus leitet sich die erste strategische notwendige Priorisierung ab: Das Überleben des Staates. Die Bedrohung vitaler sicherheitspolitischer und wirtschaftlicher Grundlagen unserer Existenz als Teil des westlichen Nationenverbandes (G7, EU, Nato) kann nur von nicht-westlichen Großmächten ausgehen. Diese allein haben (im Gegensatz zum islamistischen Terror) das dazu nötige Gewicht. Die zweite strategische Priorisierung liegt damit auf der aktiven Auseinandersetzung mit der Sicherheitspolitik von rivalisierenden Großmächten. Häufig übersehen schliesst dies auch das Ausspielen politischer Gegensätze zwischen diesen Mächten ein. Und drittens: Strategisches Denken heisst, das Mögliche im zweifachen Sinne zu denken. Dazu gehört der kalte Blick auf die Realität und die eigenen Fähigkeiten. Und: Stets übersehen, häufig parallele Entwicklungen der Gegenwart unabhängig von Tagespolitik und opportunen Hausmeinungen auf ihre Zukunftsrelevanz hin zu befragen und dabei den Blick auf das strategische ‚big picture‘ zu wahren.  

          Doch es gibt ein Problem: Deutschland denkt nicht strategisch – und handelt meist reaktiv. Eine ganze Kette von Auslandseinsätzen der Bundeswehr hat sich so ergeben. Ohne Bemessung strategischer Relevanz wurde die Bundeswehr an den Hindukusch geschickt, aber nicht in den Irak. Berlin mühte sich, den ohnehin minimalen Libyen-Einsatz herunterzuspielen, schickt aber inzwischen mehr als 1000 Mann in das deutlich weiter entfernte Mali. Nüchtern betrachtet haben solche Interventionen zu einer kaum verantwortbaren Aushöhlung der strategischen Ausrichtung und Kapazitäten Deutschlands in den vergangenen 20 Jahren geführt. Den islamistischen Terror, das eigentliche Zielobjekt, haben sie dabei nicht entscheidend geschwächt.

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          Die Großmächte, die genügend erhebliches Potential haben, um die liberale Weltordnung, als Grundlage von Wohlstand und Sicherheit zu erschüttern, zeigen hingegen, zu welch fatalen Auswirkungen so ein Mangel an Strategie führen kann.

          Ob Chinas Aufstieg friedlich bleiben wird, ist offen. Aus der Geschichte wissen wir, dass der Aufstieg von Großmächten genau so selten friedlich verläuft wie Versuche, ihn zu verhindern. Bis heute verfügt die Bundesregierung über keine militärisch untermauerte Strategie, wie sie im Verein mit anderen der unübersehbaren Politik Pekings begegnen könnte, die Freiheit der Meere in Ostasien neu zu definieren. Amerika wird dies nicht hinnehmen. Da weder Peking noch Washington Kompromissbereitschaft signalisieren, zeichnet sich zwischen ihnen ein Konflikt ab, der nur  im besten Fall eng umgrenzt bleiben wird. Betroffen von solch einer Auseinandersetzung wären auch deutsche Wirtschaftsinteressen. Unter Berücksichtigung globaler Versorgungsketten fließen derzeit 30 Prozent des deutschen Handels aus oder in den Fernen Osten.

          Ein internationales Strategie-Kolleg

          Noch deutlicher wird diese Blauäugigkeit mit Blick auf Russland. Hatten vor allem die baltischen Staaten schon während der Krim-Krise explizit deutsche Panzerbataillone gefordert, war es im Februar 2017 Polen, das sich mit der Idee eines europäischen Nuklearwaffenarsenals unter deutscher Führung sichtlich unerschrocken anfreunden konnte. Mit ganz wenigen Ausnahmen wurde der Vorschlag regierungsamtlich und in der deutschen Presse in Bausch und Bogen verworfen. Dabei hatte im Moment von „NATO is obsolete“ nicht weniger als die existentielle Sicherheitsgarantie für Deutschland auf dem Spiel gestanden.

          Immerhin: Während China keine Rolle in den Planungen spielt, kehrt die Bundesregierung inzwischen angesichts Russlands Verhalten zunehmend zur Heimat- und Bündnisverteidigung zurück. Daneben sollen aber Interventionen „gleichrangig“ fortgeführt werden. Kurzum: Es ist weiterhin keine Priorisierung vitaler Interessen erkennbar. Stattdessen wird ein Offiziers- und Diplomatenkorps den Kampf zum Erhalt des Staatswesens neu erlernen müssen, das im Wesentlichen durch die Kriseneinsätze in Afrika und im Fernen Osten sozialisiert worden ist. Hieran zeigt sich am deutlichsten, welches gefährliche Vermächtnis die strategische Nicht-Priorisierung der letzten zwei Jahrzehnte hinterlassen hat. Ob diese „Rückkehr“ lähmend die Aneignung alter Doktrinen bedeutet oder eine agile Anpassung und Fortentwicklung von Gerät und Konzepten mit sich bringen wird, bleibt abzuwarten. Dass ein deutscher General in der einen Verwendung Piraten bekämpft, um in der nächsten Panzerverbände im Winterkampf zu führen, ist dabei schwerlich vorstellbar.

          In jedem Fall sollte Deutschland seine Anstrengungen erheblich ausweiten, um den größten sicherheitspolitischen Risiken zu begegnen. Im Verbund mit Polen und Balten muss Deutschland das Israel seit langem zur Verfügung gestellte Know-how für atomar aufrüstbare U-Boote nun auch zum Eigenschutz nutzen. Solche nuklear bestückten Boote sollten zur Abschreckung in der Ostsee operieren. Mit Frankreich und Großbritannien muss überdies der nukleare Schutz Europas neu konzeptualisiert werden. Deutschlands Beitrag muss dabei auf eigene Fähigkeiten gerichtet sein. Während die Rückkehr zur Landes- und Bündnisverteidigung gegenwärtig ohne die Wiedereinführung der Wehrpflicht geplant wird, sollte sich Deutschland diese Option bei Bedarf in der Zukunft offenhalten. Und: Deutschland braucht ein internationales Strategie-Kolleg, das dem trivialisierten Gebrauch des Strategischen entgegentritt. Weltweit geschieht dies bereits. Es ist  längst an der Zeit, dass der deutsche Michel dies versteht.

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