Kurden in Deutschland : Parallele Welten
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Große Familie: Nadja Khodr mit acht ihrer 14 Kindern. Sie ist stolz, dass sie alle auf einem guten Weg sind Bild: Friedhelm Zingler
Mhallamiye-Kurden gelten in Deutschland als schwer integrierbar. Sie leben in geschlossenen Strukturen, ihre Clans stehen häufig für organisierte Kriminalität. Die Stadt Essen versucht das zu ändern.
Ahmad Omeirat hat es geschafft. „Naja, nicht ganz“, wendet er ein. Der junge Mann sitzt in einem rustikalen bayerischen Brauhaus mitten in Essen. Er trinkt ein paar kräftige Züge seines alkoholfreien Weißbiers. Dann stellt er sein Glas zurück auf den Bierfilz und beginnt zu erzählen. „Mein Traum war, edle Herrenmode zu verkaufen. Leider habe ich damals keinen Ausbildungsplatz bekommen.“ 180 Bewerbungen schrieb Omeirat. „Aber viele Leute haben Vorurteile. Bei Namen wie Omeirat, Saado oder El-Zein denken sie an böse Familien-Clans.“ Ahmad Omeirat absolvierte seine Lehre schließlich im elterlichen Juweliergeschäft.
Heute führt der 30 Jahre alte Mann das Geschäft gemeinsam mit seinem Vater und ist ein angesehener Kaufmann in Essen. In die Wiege gelegt war Omeirat der Aufstieg nicht. Er gehört der Volksgruppe der Mhallamiye an, kam 1983 in Beirut mitten in den libanesischen Bürgerkrieg hinein zur Welt. Seine Mutter floh 1985 mit ihm und seiner 40 Tage alten Schwester zunächst nach Syrien und dann nach Deutschland. Omeirats Vater folgte wenig später. Im Aufnahmelager Unna-Massen wies man der jungen Familie eine Unterkunft für Asylbewerber in Essen zu. 1999 wurden die Omeirats eingebürgert. „Und das hat uns sehr gut getan“, sagt Ahmat Omeirat. „Ich bin ein Essener.“
Enge Clan-Strukturen
Die Mhallamiye-Kurden sind eine arabischsprachige Volksgruppe aus Südostanatolien. Als Wirtschaftsflüchtlinge zogen einige der Familien in den zwanziger, dreißiger und vierziger Jahren des vergangenen Jahrhundert in den Libanon. Eingebürgert wurden die meisten von ihnen dort nicht. „Die Mhallamiye waren auf sich gestellt und rückten enger zusammen“, heißt es in einer Studie des Berliner Publizisten und Islamwissenschaftlers Ralph Ghadban. Noch enger als ohnehin schon seien dadurch die Clan-Strukturen geschnürt worden, um das Überleben der Gruppe gewährleisten zu können. „Und die Ghettoisierung war extrem.“ In Beirut fristeten sie ein kümmerliches Dasein.
Zwischen 1975 und 1990 kamen Mhallamiye-Kurden dann in drei Wellen als Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem Libanon nach Deutschland. In Berlin, Essen und Bremen gibt es heute die größten Mhallamiye-Gemeinden. „Die mitgebrachten soziokulturellen Strukturen wurden verfestigt, die Ghettoisierung wurde wegen der fremden kulturellen Umwelt noch größer“, schreibt Ghadban. Die Anträge auf Asyl der „Libanon-Kurden“ wurden fast immer abgelehnt. Abgeschoben werden konnten sie aber meist schon deshalb nicht, weil sie keine Pässe besaßen oder ihre Papiere vernichtet hatten. Im Zuge der sogenannten Altfallregelungen erhielt mehr als die Hälfte der Volksgruppe mittlerweile die deutsche Staatsbürgerschaft.
Doch die Mhallamiye blieben, „wo sie waren und verwandelten ihre Ghettos in eine Parallelgesellschaft. Die deutsche Gesellschaft blieb ihnen fremd und sie betrachteten sie primär als Beutegesellschaft“, urteilt der aus dem Libanon stammende Ghadban. Die Libanon-Flüchtlinge und ihre Nachkommen reproduzierten ihre „tribalen Verhältnisse“, grenzten sich auch durch Großfamilien ab und planten ihr Leben mit Sozialhilfe. Darüber hinaus biete die Kriminalität uneingeschränkte Ressourcen. Rauschgifthandel, Erpressung, Diebstahl und Raubüberfälle ermöglichten es, große Reichtümer auch ohne Ausbildung oder akademischen Grad anzusammeln.