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Messerattacke in Altena : Das Werk der Brunnenvergifter

Politik als Frage von Leben und Tod: Andreas Hollstein am Dienstag mit versorgter Schnittverletzung am Hals. Bild: HUFNAGE/EPA-EFE/REX/Shutterstock

Bürgermeister Andreas Hollstein holte viele Flüchtlinge ins kleine Altena. Fast wäre ihm das zum Verhängnis geworden. Die Staatsanwaltschaft ermittelt nun wegen versuchten Mordes.

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          Andreas Hollstein muss Nerven wie Drahtseile haben. Ein paar Stunden erst ist es her, dass dem Bürgermeister der Kleinstadt Altena im Sauerland ein Mann nach dem Leben trachtete. Niemand hätte es Hollstein übelgenommen, wenn er sich erst einmal zurückgezogen hätte. Aber der CDU-Politiker will unbedingt demonstrieren, dass er nicht unterzukriegen ist. Er will Gesicht zeigen, gerade jetzt. Also tritt er am Dienstag noch vor der Staatsanwaltschaft selbst vor die Journalisten, die zahlreich ins Lennetal geeilt sind. Die 18.000-Einwohner-Stadt Altena und ihr Bürgermeister Hollstein sind seit einiger Zeit über die Grenzen Nordrhein-Westfalens für ihr Engagement für Flüchtlinge bekannt. Die Kommune nimmt deutlich mehr Flüchtlinge auf, als sie nach dem nordrhein-westfälischen Verteilschlüssel eigentlich aufnehmen müsste; 450 Menschen sind es mittlerweile. Hollsteins Idee ist es, in kleinem Maßstab nachzuweisen, dass es funktioniert, starken Bevölkerungsschwund in einer einstmals blühenden Industriestadt zu stoppen. Für die Neuankömmlinge, die allesamt dezentral in – reichlich zur Verfügung stehenden – Wohnungen untergebracht werden, gibt es viele Integrationsangebote, bei denen ehren- und hauptamtliche Helfer zusammenarbeiten. Im Mai bekam Altena für sein vorbildliches Engagement von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) den ersten Nationalen Integrationspreis.

          Reiner Burger
          Politischer Korrespondent in Nordrhein-Westfalen.

          Hollsteins Gesicht ist fahl. Aber seine Stimme ist fest, als er detailliert berichtet, wie er am Montagabend gegen 19.50 Uhr nach einer Sitzung des Hauptausschusses in den Imbiss „City Döner“ ging, um für sich und seine derzeit kranke Frau das Abendessen zu holen. Kurz darauf sei ein anderer Kunde in das kleine Lokal gekommen, habe eine Dönertasche bestellt, ihn fixiert und dann gefragt, ob er der Bürgermeister sei. Hollstein bejahte. Der Mann warf dem Bürgermeister vor, ihm das Wasser abgedreht zu haben. „Sie lassen mich verdursten und holen 200 Flüchtlinge nach Altena.“ Der Mann zog ein Messer mit einer mehr als 20 Zentimeter langen Klinge aus seinem Rucksack und versuchte, auf Hollstein einzustechen. „Ich bin mir nicht sicher, ob ich hier sitzen würde, wenn die beiden Imbissbesitzer, Vater und Sohn, nicht beherzt eingegriffen hätten“, sagt Hollstein. Deshalb habe er nur eine kleine Schnittwunde am Hals erlitten. Gemeinsam mit dem aus der Türkei stammenden Budeninhaber Abdullah Demir und dessen Sohn Ahmet hielt Hollstein den Angreifer fest. Derweil eilte Demirs Frau zur gegenüber gelegenen Wache und alarmierte die Polizei.

          Nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft Hagen hatte der 56 Jahre alte Angreifer, ein arbeitsloser Maurer, der wie Bürgermeister Hollstein ganz in der Nähe des kleinen Döner-Restaurants wohnt, ein fremdenfeindliches Motiv. Gegen den Täter erging am Dienstag Haftbefehl wegen versuchten Mordes. Hollstein sei Opfer geworden, weil er durch besonderes Engagement durch Aufnahme von Flüchtlingen in Erscheinung getreten sei. Der 54 Jahre alte Hollstein, der seit 1999 Bürgermeister in Altena ist, hat sich mit seiner auf eine schnelle Integration ausgerichteten Flüchtlingspolitik auch Feinde gemacht. Hollstein weiß das. Er habe schon in der Vergangenheit viele Hass-nachrichten über die sogenannten sozialen Netzwerke bekommen. Er glaube, dass der Täter durch digitale „Brunnenvergifter“ zum Werkzeug geworden sei.

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